Ausgangslage
Müdigkeit am Steuer ist ein wesentlicher Risikofaktor für Verkehrsunfälle. Dabei geht es nicht nur um den Sekundenschlaf – ein kurzes Einnicken während der Fahrt –, sondern auch um müdigkeitsbedingte Leistungseinbussen, die schon lange vor dem eigentlichen Einschlafen auftreten, z. B. eine verlangsamte Reaktion [1].
Müdigkeit ist ein Signal des Körpers, die aktuelle körperliche oder geistige Aktivität oder auch nur das «Wachsein» zu beenden. Dennoch fahren viel Fahrzeuglenkende trotz Müdigkeitssymptomen wie Gähnen, Unkonzentriertheit, Fahrfehlern oder schweren Augenlidern weiter.
Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit treten bei älteren Personen alters- und krankheitsbedingt häufiger auf [2]. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass jüngere Autolenkende häufiger in übermüdetem Zustand am Strassenverkehr teilnehmen als ältere [3–5]. Ein Teil der überproportionalen Beteiligung junger Lenkerinnen und Lenker an Müdigkeitsunfällen dürfte auf unzureichenden Schlaf und ungünstige Schlafgewohnheiten zurückzuführen sein, die sich aus der Kombination von langen Wachzeiten und kurzen Erholungsphasen ergeben [6].
Verbreitung
Untersuchungen zeigen, dass Müdigkeit am Steuer ein häufiges Phänomen im Strassenverkehr ist. In einer grossen europäischen Befragung gaben 2023 18 % der befragten Autofahrenden an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal so müde Auto gefahren zu sein, dass sie nur mit Mühe die Augen offen halten konnten. Bei den jüngeren Befragten (18- bis 24-Jährige) war der Anteil mit 26 % deutlich höher als bei den 65- bis 74-Jährigen mit nur 8 % [3].
Die Bevölkerungsbefragung der BFU 2024 zeigt ein ähnliches Bild: 59 % der 18- bis 24-jährigen Autofahrenden gaben an, zumindest ab und zu übermüdet zu fahren, bei den 65- bis 74-Jährigen waren es 37 % [7].
Gefährlichkeit
Müdigkeit geht mit einer Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit einher. Übermüdete Personen haben beispielsweise Schwierigkeiten, die Spur zu halten, nehmen Gefahren verzögert wahr und reagieren verspätet auf unerwartete Ereignisse. Im schlimmsten Fall führt Müdigkeit zu Sekundenschlaf am Steuer.
Aufgrund der Beeinträchtigungen weisen übermüdete Fahrzeuglenkende ein erhöhtes Unfallrisiko auf. Eine genaue Spezifizierung dieses Risikos ist kaum möglich. Grob geschätzt dürfte das relative Risiko aber im Bereich von 1,5 bis 4 liegen [1]. In einer Studie zu den Auswirkungen einer Schlafapnoe oder eines Schlafmangels auf das Unfallrisiko wurden verschiedene Altersgruppen miteinander verglichen [8]. Die Studie zeigte diesbezüglich keinen nennenswerten Unterschied zwischen älteren und jüngeren Personen.
Müdigkeitsbedingte Unfälle sind oft schwerwiegend, wenn der Lenker oder die Lenkerin eingeschlafen ist. Grund dafür dürfte sein, dass sie sich bei höherer Geschwindigkeit ereignen bzw. dass vor dem Aufprall nicht oder zu spät gebremst wurde [4].
Unfallrelevanz
In der Statistik der polizeilich registrierten Strassenverkehrsunfälle wird Müdigkeit (inkl. Sekundenschlaf) bei 1,7 % aller schweren Personenschäden als Hauptursache registriert (Ø 2019–2023). Bei den schweren Personenschäden der 18- bis 24-Jährigen liegt dieser Anteil mit 2,4 % etwas höher. Nach Angaben der Polizei sind junge Erwachsene überdurchschnittlich häufig Verursachende solcher Unfälle.
Müdigkeitsunfälle ereignen sich überwiegend tagsüber (69 %), aber im Vergleich zu allen schweren Unfällen häufiger nachts. Während der Anteil der schweren Unfälle in der Nacht 21 % beträgt, liegt der Anteil der schweren Müdigkeitsunfälle bei 31 %. Bei den jungen Erwachsenen liegt der Anteil der schweren Müdigkeitsunfälle in der Nacht sogar bei 39 %, während er z. B. bei Personen ab 65 Jahren nur 11 % beträgt
Da es für die Polizei schwierig ist, Übermüdung am Unfallort zuverlässig festzustellen und die Betroffenen ihre Schläfrigkeit oft verschweigen, wird das Ausmass des Problems in der amtlichen Verkehrsunfallstatistik unterschätzt. Spezifische Studien zeigen, dass Müdigkeit ein wesentlich substanziellerer Einflussfaktor ist. Unter Ausschluss konfundierender Faktoren wie Dunkelheit, Alkohol und überhöhte Geschwindigkeit kann davon ausgegangen werden, dass Müdigkeit insgesamt bei ca. 10 % aller schweren Unfälle von Motorfahrzeuglenkenden eine (Mit-)Ursache ist [1]. Bei den 18- bis 24-Jährigen dürfte der entsprechende Anteil bei über 10 % liegen.
Quellen
[1] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.
[2] Uhr A, Ewert U, Scaramuzza G et al. Sicherheit älterer Verkehrsteilnehmer. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2016. Sicherheitsdossier Nr. 14. DOI:10.13100/bfu.2.271.01.
[3] Areal A, Pires C, Pita R et al. Distraction (mobile phone use) & fatigue: ESRA3 Thematic report Nr. 3. ESRA project (E-Survey of Road users' Attitudes: Portuguese Road Safety Association; 2024
[4] European Commission. Road safety thematic report – Fatigue. Brüssel: European Road Safety Observatory; 2021.
[5] Sagaspe P, Taillard J, Bayon V et al. Sleepiness, near-misses and driving accidents among a representative population of French drivers. J Sleep Res. 2010; 19(4): 578–584.
[6] Shinar D. Traffic safety and human behavior. 2nd ed. Bingley: Emerald Group Publishing Limited; 2017.