Einleitung
Sensibilisierungsmassnahmen sind ein häufig verwendetes Mittel in der Verkehrssicherheitsarbeit. Dazu zählen massenmediale Kampagnen, z. B. mit Plakaten oder TV-Spots, Social-Media-Beiträge, Informationsbroschüren oder Aktionen vor Ort.
Ziel ist es, das Bewusstsein für sicherheitsrelevante Themen zu schärfen und das Verhalten der Zielgruppen positiv zu beeinflussen. Die Zielgruppen können breite Bevölkerungsschichten sein oder spezifische Gruppen wie junge Lenkerinnen und Lenker, Eltern oder Fachpersonen.
Aktuelle Situation
In der Schweiz führen verschiedene Institutionen regelmässig Sensibilisierungskampagnen oder andere Aktionen zur Verkehrssicherheit durch oder bieten Sensibilisierungsmaterial an. Themen sind z. B. der Verzicht auf Alkohol am Steuer, die Anpassung der Geschwindigkeit, die Erhöhung der Sichtbarkeit oder die Rücksichtnahme gegenüber Kindern.
Präventionsnutzen
Gut konzipierte Sensibilisierungsmassnahmen können dazu beitragen, die Verkehrsteilnehmenden für Risiken in Strassenverkehr zu sensibilisieren, ihr Verhalten positiv zu beeinflussen und damit die Verkehrssicherheit zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um die unmittelbare Wirkung auf das Verhalten, sondern auch um die Schaffung eines langfristigen Bewusstseins für Risiken und sicheres Verhalten im Strassenverkehr.
Der konkrete Nutzen von Sensibilisierungsmassnahmen für die Verkehrssicherheit ist aber schwer zu beziffern. Evaluationen werden eher selten durchgeführt oder publiziert und messen oft nur die Bekanntheit der Kampagne, der Botschaft oder selbstberichtete Einstellungen und Verhaltensabsichten.
Tatsächliche Verhaltensänderungen und Auswirkungen auf das Unfallgeschehen werden kaum untersucht [1], was aber auch anspruchsvoll ist, da viele Einflüsse auf das Unfallgeschehen wirken (z. B. Polizeikontrollen, infrastrukturelle Massnahmen, Wetter) und Unfälle seltene Ereignisse sind. Um den spezifischen Effekt einer Sensibilisierungsmassnahme isoliert zu bestimmen, müsste daher ein Kontrollgruppendesign verwendet werden, was aber nur selten gemacht wird.
Übersichtsarbeiten und internationale Metaanalysen kommen aber zum Schluss, dass Kampagnen positive Effekte auf die Verkehrssicherheit haben. Eine Metaanalyse zur Wirkung von (älteren) Verkehrssicherheitskampagnen stellte eine durchschnittliche Unfallreduktion von 9 % fest [2]. Die Autoren betonen aber, dass dieses Resultat vorsichtig zu interpretieren ist. Denn die Effekte variieren stark, und nicht alle Kampagnenthemen zeigten signifikante Wirkungen. Viele Kampagnen wurden durch verstärktes Enforcement begleitet, was sich als wirksamer erwies als Kampagnen ohne Enforcement. Zudem wurden meist nur kurzfristige Effekte gemessen [2].
Als wirksamkeitserhöhende Elemente von Sensibilisierungskampagnen gelten u. a. persönlich ausgerichtete, lokale Aktionen [1,2], eine wissenschaftliche Fundierung auf sozialpsychologischen Theorien [3], das Aufzeigen klarer Verhaltensalternativen [1], die Kombination emotionaler und rationaler Elemente [2] sowie die Kombination mit verstärktem Enforcement [2].
Optimierungspotential
Um das volle Potenzial von Sensibilisierungsmassnahmen auszuschöpfen, empfiehlt es sich, vor der Konzeption eine wissenschaftliche Situationsanalyse durchzuführen. Dies ermöglicht eine datenbasierte Auswahl der relevanten Themen und Zielgruppen sowie eine zielgerichtete Entwicklung von Massnahmen. Zudem sollte die Konzeption auf wissenschaftlich fundierten, sozialpsychologischen Theorien basieren [3]. Theorien helfen dabei, Einflussfaktoren und wirksame Massnahmen zu identifizieren und systematisch zu prüfen, warum eine Intervention erfolgreich war oder nicht [4].
Ein weiteres Optimierungspotenzial liegt in der gezielteren Ansprache schwer erreichbarer Zielgruppen (siehe Hinweis). Klassische Kampagnen und Sensibilisierungsmaterialien erreichen oft nur einen Teil der Bevölkerung. Gerade bei schwer erreichbaren Zielgruppen ist eine aufsuchende Präventionsarbeit wichtig. Dabei gilt es, die Besonderheiten der Zielgruppe (z. B. hinsichtlich Bildung, Sprachkenntnissen, soziokulturellem Hintergrund) zu berücksichtigen und die Zielgruppen in die Entwicklung einzubeziehen [6].
Ebenso wichtig wie eine fundierte Konzeption ist die systematische Evaluation der Sensibilisierungskampagnen und -aktionen. Sie ermöglicht es, bestehende Massnahmen gezielt zu optimieren und wertvolle Erkenntnisse für die Planung zukünftiger Aktionen zu gewinnen. Idealerweise wird bei Evaluationen auch das tatsächliche Verhalten und – wenn möglich – das Unfallgeschehen untersucht sowie eine aussagekräftige Methodik verwendet (z. B. Vorher-Nachher-Analyse mit Kontrollgruppen).
Durch gezielte Synergien mit anderen Präventionsaktivitäten, z. B. Polizeikontrollen, kann die Wirkung von Sensibilisierungsmassnahmen erhöht werden. Die Koordination der Aktivitäten verschiedener Organisationen stellt sicher, dass alle relevanten Aspekte der Unfallprävention abgedeckt und Ressourcen effizient genutzt werden.
Fazit
Sensibilisierungsmassnahmen können zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen, ihr konkreter Nutzen ist jedoch schwer messbar. Eine Wirkung ist vor allem dann zu erwarten, wenn Sensibilisierungskampagnen oder -aktionen wissenschaftlich fundiert sind und Kampagnen mit Enforcement-Massnahmen kombiniert werden. Synergien und die Koordination verschiedener Akteure erhöhen die Effizienz in der Unfallprävention. Sensibilisierungskampagnen und -aktionen sollten konsequent evaluiert werden, um bestehende Massnahmen zu optimieren und wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Aktionen zu gewinnen.
Hinweise
Unter schwer erreichbaren Zielgruppen werden Personen verstanden, die entweder organisatorisch schwer zu erreichen sind (geringe Ansprechbarkeit), die das Angebot auf kognitiver Ebene nicht akzeptieren (z. B. keinen Bedarf sehen) oder die das propagierte Verhalten nicht umsetzen (keine Compliance) [5].
Quellen
[1] Institute for Road Safety Research SWOV. Public communication. The Hague, NL: SWOV; 2023. SWOV Fact sheet.
[2] Phillips RO, Ulleberg P, Vaa T. Meta-analysis of the effect of road safety campaigns on accidents. Accid Anal Prev. 2011; 43(3): 1204–1218. DOI:10.1016/j.aap.2011.01.002.
[3] Robertson RD, Pashley C. Road safety campaigns: what the research tells us. Ottawa: Traffic Injury Research Foundation of Canada TIRF; 2015. TIRF Toolkit.
[4] Uhr A. Social Marketing: Generelle Strategie und zentrale Prinzipien. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Forschung 2.372. DOI:10.13100/BFU.2.372.01.2020.
[5] Funk W, Fassmann H. Schwer erreichbare Zielgruppen – Handlungsansätze für eine neue Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH; 2013. Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen BASt, Mensch und Sicherheit M 237.
[6] Walter E, Achermann Stürmer Y, Schürch B. Sensibilisierung der Eltern von Rad fahrenden Kindern: Instrument zur Qualitätsentwicklung von Projekten. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2013. bfu-Grundlagen.