Einleitung
Sensibilisierungsmassnahmen sind ein häufig verwendetes Mittel in der Verkehrssicherheitsarbeit. Dazu zählen massenmediale Kampagnen, z. B. mit Plakaten oder TV-Spots, Social-Media-Beiträge, Informationsbroschüren oder Aktionen vor Ort.
Ziel ist es, das Bewusstsein für sicherheitsrelevante Themen zu schärfen und das Verhalten der Zielgruppen positiv zu beeinflussen. Zielgruppe können sowohl die Motorradfahrenden selbst als auch deren häufigste Kollisionsgegner, die Lenkenden von Personenwagen (PW) sein.
Zu den wichtigsten Ansätzen zählen Kampagnen zur Gefahrenwahrnehmung, die über reale Unfallszenarien und Erfahrungsberichte auf Risiken aufmerksam machen. Öffentlichkeitsarbeit über Medien, Plakate und Social Media trägt dazu bei, typische Unfallursachen wie Selbstüberschätzung oder fehlende Sichtbarkeit ins Bewusstsein zu rücken.
Ergänzt wird dies durch themenspezifische Workshops und Sicherheitstrainings, die über reine Technikübungen hinausgehen und die Selbsteinschätzung sowie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Fahrverhalten fördern. Peer-to-Peer-Formate und Mentorenprogramme ermöglichen den Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe. In Zusammenarbeit mit Polizei, Verkehrsclubs und Fahrschulen entstehen umfassende Sensibilisierungsangebote, die Motorradfahrende nachhaltig für sicheres Verhalten im Strassenverkehr gewinnen sollen.
Sensibilisierungsmassnahmen für die Kollisionsgegner von Motorradfahrenden – vor allem Autofahrende – zielen darauf ab, deren Wahrnehmung für Motorräder zu verbessern und unfallverursachende Verhaltensmuster zu durchbrechen. Kampagnen zur Aufklärung über Wahrnehmungsfehler wie das Übersehen in Abbiegesituationen stehen dabei im Mittelpunkt.
Ergänzt wird dies durch gezielte Schulungen in der Fahrausbildung, gemeinsame Aktionen und Roadshows mit Motorradverbänden oder der Polizei sowie emotional ansprechende Botschaften, die Empathie und Rücksicht fördern. Auch in der beruflichen Weiterbildung für Berufschauffeurinnen und -chauffeure bieten sich wichtige Ansätze, um das Sicherheitsbewusstsein im Strassenverkehr zu stärken.
Aktuelle Situation
In der Schweiz stellen Motorradfahrende nach wie vor eine besonders gefährdete Gruppe im Strassenverkehr dar. Insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren sind überproportional häufig in schwere Unfälle verwickelt, was auf Faktoren wie mangelnde Erfahrung, Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung zurückzuführen ist.
Zur Sensibilisierung dieser Zielgruppe setzen verschiedene Organisationen auf gezielte Kampagnen und Bildungsangebote. Die BFU und der Touring Club Schweiz (TCS) führen beispielsweise Programme durch, die auf die Bedeutung von Sichtbarkeit und defensivem Fahrverhalten hinweisen.
Für die Kollisionsgegner von Motorradfahrenden, vor allem Autofahrende, gibt es ebenfalls Sensibilisierungsmassnahmen. Diese zielen darauf ab, die Wahrnehmung für Motorräder zu verbessern und typische Unfallursachen wie das Übersehen beim Abbiegen oder beim Spurwechsel zu minimieren. Kampagnen setzen dabei auf Aufklärung über Wahrnehmungsfehler und fördern eine vorausschauende Fahrweise.
Präventionsnutzen
Gut konzipierte Sensibilisierungsmassnahmen können dazu beitragen, die Verkehrsteilnehmenden für Risiken in Strassenverkehr zu sensibilisieren, ihr Verhalten positiv zu beeinflussen und damit die Verkehrssicherheit zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um die unmittelbare Wirkung auf das Verhalten, sondern auch um die Schaffung eines langfristigen Bewusstseins für Risiken und sicheres Verhalten im Strassenverkehr.
Der genaue Nutzen von Sensibilisierungsmassnahmen für die Verkehrssicherheit ist aber schwer zu beziffern. Evaluationen werden eher selten durchgeführt oder publiziert und messen oft nur die Bekanntheit der Kampagne, der Botschaft oder selbstberichtete Einstellungen und Verhaltensabsichten.
Tatsächliche Verhaltensänderungen und Unfallwirkungen werden kaum untersucht [1], was aber auch anspruchsvoll ist, da viele Einflüsse auf das Unfallgeschehen wirken (z. B. Polizeikontrollen, infrastrukturelle Massnahmen, Wetter) und Unfälle seltene Ereignisse sind. Um den spezifischen Effekt einer Sensibilisierungsmassnahme isoliert zu bestimmen, müsste daher ein Kontrollgruppendesign verwendet werden, was aber nur selten gemacht wird.
Übersichtsarbeiten und internationale Metaanalysen kommen zu dem Schluss, dass Kampagnen positive Effekte auf die Verkehrssicherheit haben können. Eine Metaanalyse zur Wirkung von (älteren) Verkehrssicherheitskampagnen stellte eine durchschnittliche Unfallreduktion von 9 % fest [2]. Die Autoren betonen aber, dass dieses Resultat vorsichtig interpretiert werden muss. Denn die Effekte variieren stark und nicht alle Kampagnenthemen zeigten signifikante Wirkungen. Viele Kampagnen wurden durch verstärktes Enforcement begleitet, was sich als wirksamer erwies als Kampagnen ohne Enforcement. Zudem wurden meist nur kurzfristige Effekte gemessen [2].
Als wirksamkeitserhöhende Elemente von Sensibilisierungskampagnen gelten laut Fachmeinungen und Studien u. a. persönlich ausgerichtete, lokale Aktionen [1,2], eine wissenschaftliche Fundierung auf sozialpsychologischen Theorien [3], das Aufzeigen klarer Verhaltensalternativen [1], die Kombination emotionaler und rationaler Elemente [2] sowie die Kombination mit verstärktem Enforcement [2].
Optimierungspotential
Die Gruppe der Motorradfahrenden ist im Hinblick auf ihre demografische und soziokulturelle Zusammensetzung, ihre Fahrmotive und Fahrerfahrungen sehr heterogen. Um Sensibilisierungsmassnahmen zu planen, empfiehlt sich vorab eine Situationsanalyse, in der die Zielgruppe möglichst präzise definiert wird. Alle geplanten Massnahmen sollten auf wissenschaftlichen Theorien basieren [3]. Ein weiterer zentraler Punkt ist eine begleitende Evaluation einer Massnahme. Diese hilft, die Wirkung der Sensibilisierung abzuschätzen und kann wichtige Hinweise für zukünftige Massnahmen geben.
Um die Sensibilisierung von Motorradfahrenden künftig noch wirkungsvoller zu gestalten, sollten Massnahmen gezielter auf die Vielfalt innerhalb dieser Gruppe abgestimmt werden. Unterschiedliche Bedürfnisse, etwa von jungen Fahranfängerinnen und Fahranfängern, routinierten Freizeitfahrerinnen oder Berufspendlern, erfordern differenzierte Inhalte und Kommunikationsstrategien.
Zentral ist dabei eine stärkere Ausrichtung auf die höheren Ebenen der GDE-Matrix, etwa die Förderung von Risikowahrnehmung und Selbstreflexion sowie die Auseinandersetzung mit den eigenen Fahrmotiven. Statt sich nur auf Fahrzeugbeherrschung und das Verhalten in Standardsituationen zu konzentrieren, sollten Sensibilisierungsangebote stärker zur kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten anregen.
Auch digitale und interaktive Formate bieten grosses Potenzial: Lern-Apps, VR-Simulationen oder gamifizierte Module ermöglichen es, risikoreiche Situationen realitätsnah zu erleben und sich individuell weiterzubilden. Wichtig sind zudem die enge Zusammenarbeit und bessere Abstimmung zwischen Fahrschulen, Polizei, Verkehrsverbänden und weiteren Akteuren, um kohärente und qualitativ hochwertige Angebote zu schaffen.
Langfristig sollte Sensibilisierung als Teil eines kontinuierlichen, lebenslangen Lernprozesses verstanden werden. Der Kompetenzkatalog der Verkehrsbildung kann dabei als Orientierungsrahmen dienen. Systematische Evaluationen und Feedbackmechanismen helfen, die Wirksamkeit der Massnahmen zu überprüfen und gezielt weiterzuentwickeln – mit dem Ziel, die Verkehrssicherheit von Motorradfahrenden nachhaltig zu erhöhen.
Fazit
Sensibilisierungsmassnahmen können einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten, insbesondere für die gefährdete Gruppe der Motorradfahrenden. Um ihre Wirkung zu erhöhen, sollten sie gezielt auf unterschiedliche Zielgruppen abgestimmt, interaktiv gestaltet und wissenschaftlich fundiert sein. Zentrale Erfolgsfaktoren sind die Förderung von Risikobewusstsein und Selbstreflexion, der Einsatz digitaler Formate sowie die enge Zusammenarbeit relevanter Akteure. Eine kontinuierliche Evaluation unterstützt die Weiterentwicklung von wirksamen und nachhaltigen Sensibilisierungsstrategien.
Quellen
[1] Institute for Road Safety Research SWOV. Public communication. The Hague, NL: SWOV; 2023. SWOV Fact sheet.
[2] Phillips RO, Ulleberg P, Vaa T. Meta-analysis of the effect of road safety campaigns on accidents. Accid Anal Prev. 2011; 43(3): 1204–1218. DOI:10.1016/j.aap.2011.01.002.
[3] Robertson RD, Pashley C. Road safety campaigns: what the research tells us. Ottawa: Traffic Injury Research Foundation of Canada TIRF; 2015. TIRF Toolkit 2.