Einleitung
Wer in der Schweiz ein Motorfahrzeug lenken will, muss fahrgeeignet sein. Das beinhaltet unter anderem, dass eine Person über die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit verfügt, die es zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen braucht.
Die Fahreignung und damit die sichere Verkehrsteilnahme können durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt werden: durch Erkrankungen (z. B. Demenz), altersbedingte Veränderungen (z. B. eingeschränkte Beweglichkeit), eine Suchtproblematik oder durch charakterliche Auffälligkeiten. In den 1970er-Jahren wurden daher in der Schweiz obligatorische verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchungen für ältere Führerausweisinhaberinnen und -inhaber eingeführt.
Die Untersuchungen sollen dazu dienen, diejenigen älteren Personen zu identifizieren, die aus Sicherheitsgründen kein Auto mehr lenken sollten. Mit dem Erkennen dieser Personen und dem darauffolgenden Entzug des Führerausweises erhofft man sich eine Steigerung der Verkehrssicherheit.
Aktuelle Situation
Führerausweisinhaberinnen und -inhaber ab 75 Jahren werden von den zuständigen Behörden alle zwei Jahre zu einer verkehrsmedizinischen Untersuchung aufgeboten. Wenn sie den Führerausweis behalten möchten, müssen sie sich von einer Ärztin oder einem Arzt mit einer entsprechenden Anerkennung untersuchen lassen.
In den meisten Fällen handelt es sich dabei um die Hausärztin oder den Hausarzt. In der Untersuchung wird geprüft, ob die medizinischen Mindestanforderungen an die Fahreignung (gemäss Anhang 1 der VZV) erfüllt sind. Ist dies der Fall, kann die Person den Führerausweis behalten und wird spätestens nach zwei Jahren zur nächsten Untersuchung aufgeboten. Sind die Mindestanforderungen nicht erfüllt, kommt es in der Regel zu einem Führerausweisentzug.
Präventionsnutzen
Die BFU hat das System der altersbasierten Kontrolluntersuchungen in der Schweiz in einer umfassenden Evaluation untersucht [1]. In einem Ländervergleich mit Deutschland und Österreich wurde geprüft, welche Auswirkungen die Untersuchungen auf das Unfallrisiko älterer Lenkender von Personenwagen (PW) in der Schweiz haben.
Der Ländervergleich zeigte keinen Nutzen dieser Untersuchungen in Bezug auf schwere Unfälle, die von älteren PW-Lenkerinnen und -Lenkern verursacht werden. Einschränkend ist zu bemerken, dass sich der Ländervergleich auf eine Zeitperiode bezieht, in der die erste Kontrolluntersuchung mit 70 Jahren durchgeführt wurde. Per 1.1.2019 wurde das Alter für die erste Untersuchung auf 75 Jahre angehoben.
Die Auswirkungen dieser Anpassung auf das Unfallgeschehen älterer PW-Lenkerinnen und -Lenker können noch nicht abschliessend beurteilt werden. Aufgrund der Resultate der Evaluationsstudie ist allerdings nicht zu erwarten, dass diese Anhebung zu einer merklichen Verschlechterung der Verkehrssicherheit führen wird.
Das Ergebnis der Evaluationsstudie bestätigt die Resultate anderer internationaler Untersuchungen: Auch dort konnte insgesamt kein positiver Einfluss von altersbasierten Verfahren auf das Unfallgeschehen älterer Lenkender nachgewiesen werden (siehe z. B. [2,3]). Ein wichtiger Grund ist, dass nur aufgrund einzelner Merkmale der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit das individuelle Unfallrisiko nicht verlässlich abgeschätzt werden kann. Denn Unfälle sind multikausal und viele Lenkende kompensieren Einschränkungen. Zudem sind die angewandten Tests für diesen Zweck nicht ideal.
Optimierungspotential
Wegen des nicht nachweisbaren Nutzens der altersbasierten verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchungen ist aus gesellschaftlicher Sicht eine schrittweise Reduktion des Aufwands für solche Untersuchungen prüfenswert. Allerdings sollte gleichzeitig der risikobasierte Ansatz verstärkt werden: Personen sollen vermehrt dann untersucht werden, wenn sich Hinweise auf mögliche Probleme mit der Fahreignung ergeben (z. B. bei auffälligem Verhalten im Strassenverkehr). Zudem sollten flankierende Massnahmen verstärkt werden. Dazu gehören Sensibilisierungsmassnahmen (z. B. FahrsicherheitsCheck), die Nutzung von Fahrerassistenzsystemen und freiwillige Fahrberatungen und -trainings.
Die im Rahmen der Evaluation der BFU durchgeführte Befragung von Ärztinnen und Ärzten zeigte Unterschiede im Umfang der Untersuchungen und auch beim Vorgehen (z. B. verwendete Tests). Solange die Untersuchungen weiter durchgeführt werden, sollte ihr Ablauf vereinheitlicht werden, und die medizinischen Mindestanforderungen sollten regelmässig auf Anpassungsbedarf geprüft werden. Zudem sollten möglichst valide diagnostische Verfahren entwickelt und eingesetzt werden.
Auch sollte die sichere Mobilität der älteren Lenkenden gefördert werden, indem beispielsweise die rehabilitativen Möglichkeiten ausgeschöpft und vermehrt Führerausweise mit Beschränkungen ausgestellt werden.
Fazit
Ein Nutzen der altersbasierten verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchungen in der Schweiz konnte nicht nachgewiesen werden. Um die Sicherheit älterer PW-Lenkerinnen und -Lenker zu fördern, sind daher andere Massnahmen notwendig (siehe [1]).
Wenn die erfolgte Anhebung der Altersgrenze für die erste Untersuchung auf 75 Jahre keine negativen Auswirkungen auf das Unfallgeschehen älterer PW-Lenkender zeigt, sollte der Aufwand für die verkehrsmedizinischen Untersuchungen schrittweise reduziert werden. Allerdings sollte mit anderen Massnahmen sichergestellt werden, dass nicht fahrgeeignete Personen identifiziert werden. Zudem soll die sichere Mobilität älterer Personen gefördert werden.
Hinweise
Sofern nicht anders vermerkt, basieren die obigen Aussagen auf dem Bericht der BFU zur Evaluation der verkehrsmedizinischen Kontrolluntersuchungen [1].
Quellen
[1] Huwiler K, Uhr A, Hertach P. Altersbasierte verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchungen: Evaluation des Schweizer Systems. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2022. Fachdokumentation 2.468. DOI:10.13100/bfu.2.468.01.2022.
[2] Siren A, Haustein S. Driving licences and medical screening in old age: Review of literature and European licensing policies. J Transp Health. 2015; 2(1): 68–78. DOI:10.1016/j.jth.2014.09.003.
[3] Fastenmeier W. Fahreignung bei Senioren. Altersbezogene Pflichtuntersuchungen: Schaden oder Nutzen? In: 55. Verkehrsgerichtstag. Berlin; 2017: 73–89.