Ausgangslage
E-Bikes und Motorfahrzeuge bewegen sich oft im gleichen Verkehrsraum. Verschiedene fahrzeugtechnische Eigenschaften der Motorfahrzeuge bergen ein erhebliches Unfall- bzw. Verletzungsrisiko für E-Bike-Fahrerinnen und E-Bike-Fahrer. In diesem Text wird auf folgende Eigenschaften bei Personen-, Liefer- und Lastwagen eingegangen:
Eingeschränkte Sicht (toter Winkel)
Insbesondere bei grossen Sachentransportfahrzeugen gibt es Bereiche in Fahrzeugnähe, die für die Lenkenden nicht einsehbar sind. Besonders die ungenügende Sicht nach vorne und nach rechts bereitet Lastwagenlenkenden erhebliche Probleme. Bei Personenwagen (PW) können z. B. breite A-Säulen (zwischen Frontscheibe und Seitenfenster) die Sicht auf Velo- und E-Bike-Fahrende behindern [1].
Frontgeometrie
Form, Höhe und Neigung der Fahrzeugfront beeinflussen die Art und Weise, wie E-Bike-Fahrende bei einer Kollision mit dem Fahrzeug in Kontakt kommen und wie schwerwiegend letztlich die Verletzungen sind. Vor allem grosse Sachentransportfahrzeuge haben oft eine hohe und steile Front, was das Risiko schwerer Verletzungen erhöht [1].
Frontsteifigkeit
Dieser Begriff bezieht sich auf die strukturbedingten Eigenschaften der Fahrzeugfront, d. h. der Stossstange, der Motorhaube und der darunter liegenden Strukturen von Karosserieteilen und Aggregaten. Vor allem grössere bzw. schwere Fahrzeuge sind oft sehr steif gebaut und absorbieren wenig Energie, was bei Kollisionen zu hohen Körperbelastungen für die E-Bike-Fahrenden führt [1].
Fahrzeuggewicht
Das Gewicht der Kollisionsfahrzeuge beeinflusst die Aufprallenergie und damit das Risiko für schwere Verletzungen bei den E-Bike-Fahrenden.
Verbreitung
Insbesondere Lastwagen weisen für E-Bike-Fahrende ungünstige Eigenschaften wie tote Winkel, ungünstige Frontgeometrie und Frontsteifigkeit sowie eine hohe Masse auf. Ihr Anteil an den in der Schweiz neu in Verkehr gesetzten Motorfahrzeugen betrug in den letzten Jahren etwas mehr als 1 % (Ø 2019–2023) [2]. Auch Lieferwagen weisen oft ungünstigere Frontprofile und mehr tote Winkel auf als Personenwagen. Ihr Anteil betrug im erwähnten Zeitraum gut 8 % [2].
Sport Utility Vehicles (SUV) weisen teilweise ungünstigere Eigenschaften für E-Bike-Fahrende auf als Personenwagen. Allerdings gibt es innerhalb der SUV-Kategorie grosse Unterschiede in der Konstruktion, z. B. bei den toten Winkeln, der Frontgeometrie und der Steifigkeit. Auch innerhalb der Kategorie Personenwagen gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen.
Eine genaue Abschätzung der Verbreitung von steifen Frontpartien ist nicht möglich. Es ist jedoch davon auszugehen, dass trotz der Bemühungen von Verbraucherschutzorganisationen (EuroNCAP) und der Automobilindustrie, die Frontpartien für ungeschützte Verkehrsteilnehmende zu entschärfen, ein grosser Teil der Fahrzeugflotte zu wenig verletzungsreduzierende Eigenschaften aufweist [1].
Gefährlichkeit
Eingeschränkte Sicht
Tote Winkel bergen die Gefahr, dass E-Bike-Fahrende übersehen werden. Das grösste Risiko besteht bei Lastwagen, besonders beim Rechtsabbiegen: E-Bike-Fahrende seitlich des Fahrzeugs können abgedrängt, angefahren oder bei ungenügendem Seitenschutz gar überrollt werden.
Solche Unfälle sind oft schwerwiegend [3]. Sie sind jedoch eher selten: Im Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2023 wurden bei Unfällen mit rechts abbiegenden schweren Motorfahrzeugen jährlich zwei Velofahrende schwer und eine Person tödlich verletzt. Bei den E-Bike-Fahrenden wurde in diesem Zeitraum kein solcher Unfall registriert. 2017 wurde eine Person tödlich verletzt.
Bei Personenwagen kann das Sichtfeld ebenfalls eingeschränkt sein, z. B. durch die A-Säule, was jedoch durch die Aufmerksamkeit der Lenkenden [1] oder durch Fahrerassistenzsysteme teilweise ausgeglichen werden kann.
Frontgeometrie, Frontsteifigkeit und Fahrzeuggewicht
Hohe und gleichzeitig steile Fronten wie bei Lastwagen führen bei einer Kollision häufig zu einem direkten und starken Kopfkontakt der Velo- und E-Bike-Fahrenden mit der Fahrzeugfront. Hohe Fronten bergen zudem die Gefahr, dass die Zweiradfahrenden nach der Kollision weggeschleudert werden, was zu einem weiteren (Kopf-)Aufprall auf den Boden und zum Überrollen führen kann.
Flachere Fronten, wie sie oft bei Personenwagen zu finden sind, erlauben dagegen zumindest bei niedrigen Geschwindigkeiten ein gewisses Abrollen auf der Motorhaube. Bei höheren Geschwindigkeiten prallen Velo- und E-Bike-Fahrende jedoch unter Umständen auf die harte Umrahmung der Windschutzscheibe [1].
Steife Frontstrukturen können z. B. bei einem Kopfaufprall zu schweren Schädelverletzungen oder im Bereich der Stossstange zu massiven Fuss-, Bein- und Hüftverletzungen führen. Auch die Umrahmung der Windschutzscheibe stellt bei einem Aufprall ein erhebliches Risiko für Kopfverletzungen dar [1].
Schwere Kollisionsfahrzeuge erhöhen durch ihre höhere kinetische Energie bei Kollisionen das Risiko schwerer Verletzungen bei Velo- und E-Bike-Fahrenden [4].
Internationale Studien zeigen, dass das Risiko, schwer oder tödlich verletzt zu werden, für Velofahrende bei Kollisionen mit Lastwagen, Lieferwagen und SUV im Vergleich zu herkömmlichen Personenwagen erhöht ist [3,5,6].
Unfallrelevanz
Die Unfallstatistik enthält keine Angaben zu Sichteinschränkungen durch Elemente der Fahrzeugstruktur, sodass deren Unfallrelevanz schwer abzuschätzen ist. Da Unfälle aufgrund toter Winkel bei Lastwagen vergleichsweise selten sind und Personenwagenlenkende als häufigste Kollisionsgegner von E-Bike-Fahrenden tote Winkel teilweise selbst oder mittels moderner Fahrerassistenzsysteme kompensieren, lässt sich vermuten, dass die Unfallrelevanz von toten Winkeln nicht allzu gross ist.
Dagegen dürften die Frontgeometrie und insbesondere die weit verbreiteten, steifen Frontpartien eine hohe Relevanz für schwere Verletzungen bei Kollisionen von Velo- und E-Bike-Fahrenden haben [1].
Vor allem Liefer- und Lastwagen weisen ungünstige Frontstrukturen und ein hohes Gewicht auf. Sie machen 12 % der Kollisionsgegner von schwer oder tödlich verletzten E-Bike-Fahrenden aus (Ø 2019–2023). Das Verletzungsrisiko ist höher als bei Personenwagen: 20 % der verletzten E-Bike-Fahrenden bei Kollisionen mit Personenwagen werden schwer oder tödlich verletzt, 25 % bei Kollisionen mit Lieferwagen und 27 % bei Kollisionen mit schweren Motorfahrzeugen.
Hinweise
Innerhalb einer Fahrzeugkategorie, z. B. Lieferwagen, SUV oder Personenwagen, gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede in der Konstruktion, einschliesslich toter Winkel, der Frontgeometrie und der Frontsteifigkeit. Verallgemeinernde Aussagen zur Gefährdung einzelner Fahrzeugklassen sind daher mit Vorsicht zu interpretieren.
Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei E-Bike-Unfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.
[2] Bundesamt für Statistik BFS. Neue Inverkehrsetzungen von Strassenfahrzeugen nach Fahrzeuggruppe und Fahrzeugart; 2024. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/verkehrsinfrastruktur-fahrzeuge/fahrzeuge/strassen-neu-inverkehrsetzungen.assetdetail.30148868.html. 22.11.2024.
[3] Pokorny P, Pitera K. Truck-bicycle safety: an overview of methods of study, risk factors and research needs. Eur. Transp. Res. Rev. 2019; 11(1). DOI:10.1186/s12544-019-0371-7.
[4] Bahrololoom S, Young W, Logan D. Modelling injury severity of bicyclists in bicycle-car crashes at intersections. Accid Anal Prev. 2020; 144: 105597.
[5] Monfort SS, Mueller BC. Bicyclist crashes with cars and SUVs: Injury severity and risk factors. Traffic Inj Prev. 2023; 24(7): 645–651. DOI:10.1080/15389588.2023.2219795.
[6] Robartes E, Chen TD. The effect of crash characteristics on cyclist injuries: An analysis of Virginia automobile-bicycle crash data. Accid Anal Prev. 2017; 104: 165–173.