Ausgangslage
Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von E-Trottinetten in der Schweiz haben auch die Unfälle mit diesen Fahrzeugen zugenommen [1]. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Alleinunfälle. Etwas mehr als ein Viertel der schwer verletzten oder getöteten E-Trottinett-Fahrenden kollidierte jedoch mit anderen Verkehrsteilnehmenden.
Diese Kollisionen sind oft die Folge von Vortrittsmissachtungen der E-Trottinett-Fahrenden selbst oder durch andere Verkehrsteilnehmende. Dabei kann es sich um Vortrittsmissachtungen in Situationen mit Signalisation (z. B. «Kein Vortritt») oder ohne Signalisation (z. B. Rechtsvortritt oder Linksabbiegen vor dem Gegenverkehr) handeln.
Vortrittsmissachtungen durch E-Trottinett-Fahrende können absichtlich oder unabsichtlich erfolgen. Die genauen Ursachen dieser Vortrittsmissachtungen sind aus der Verkehrsunfallstatistik nicht erkennbar.
Aus einer Analyse deutscher GIDAS-Daten (German In-Depth Accident Study) zu Velounfällen lässt sich aber ableiten, dass visuelle Wahrnehmungsfehler wie Übersehen oder falsche Aufmerksamkeitsausrichtung eine wichtige Ursache darstellen [2]. Weitere mögliche Ursachen sind z. B. Wissensdefizite, bewusste Regelmissachtungen, infrastrukturelle Probleme oder Überforderung mit der Verkehrssituation [3]. Bei E-Trottinett-Fahrenden dürften diese Gründe ebenfalls von Bedeutung für das Unfallgeschehen sein.
Verbreitung
Wie häufig E-Trottinett-Fahrende den Vortritt missachten, lässt sich bisher kaum abschätzen. Aufgrund der Unfallstatistik ist davon auszugehen, dass Vortrittsmissachtungen im Strassenverkehr eher häufig vorkommen. Am häufigsten wird dabei das Vortrittssignal «Kein Vortritt» oder der Vortritt beim Linksabbiegen vor dem Gegenverkehr missachtet.
Gefährlichkeit
Wie häufig eine Vortrittsmissachtung zu einem Unfall führt, kann mangels entsprechender Studien nicht beantwortet werden. Dies hängt vermutlich auch davon ab, ob die Vortrittsmissachtung bewusst und kontrolliert oder unbeabsichtigt erfolgt.
Insgesamt ist aber aufgrund der hohen Unfallrelevanz davon auszugehen, dass Vortrittsmissachtungen öfters zu Kollisionen führen. Da E-Trottinett-Fahrende nicht durch eine Karosserie oder andere Vorrichtungen geschützt sind, kann es bei Kollisionen zu schweren Verletzungen kommen.
Es gibt verschiedene Faktoren, welche die Verletzungsschwere der E-Trottinett-Fahrenden beeinflussen, z. B. ihre Geschwindigkeit oder das Tragen eines Helms. Von grosser Bedeutung ist die kinetische Energie der Kollisionsgegner, also deren Gewicht und Geschwindigkeit: Das Risiko, sich als E-Trottinett-Fahrerin oder -Fahrer schwer zu verletzen, steigt mit zunehmender Geschwindigkeit und Gewicht des Kollisionsgegners überproportional an. In den USA zeigte eine Studie zu tödlichen Unfällen von Leih-E-Trottinett-Fahrenden in den Jahren 2018 bis 2020, dass in fast 90 % dieser Fälle ein Motorfahrzeug beteiligt war [4].
Unfallrelevanz
Gemäss den amtlichen Unfallstatistiken sind rund 27 % der schweren Personenschäden bei E-Trottinett-Fahrenden auf Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmenden zurückzuführen. Bei 44 % war die Hauptursache für die Kollision eine Vortrittsmissachtung – in etwas weniger als der Hälfte der Fälle begangen durch die Person auf dem E-Trottinett. Damit sind 21 % der schweren Personenschäden bei Kollisionen von E-Trottinett-Fahrenden die Folge einer Vortrittsmissachtung ihrerseits (Hauptursache).
Bei den schweren Kollisionen von E-Trottinett-Fahrenden, die von ihnen verursacht werden, ist die Vortrittsmissachtung damit die mit Abstand häufigste Hauptursache. Betrachtet man alle schweren Personenschäden von E-Trottinett-Fahrenden (inkl. Alleinunfälle), sind 6 % auf eine Vortrittsmissachtung ihrerseits zurückzuführen (Hauptursache).
Hinweise
Zu beachten ist, dass die offizielle Verkehrsunfallstatistik bei E-Trottinett-Unfällen eine hohe Dunkelziffer aufweist, insbesondere bei Alleinunfällen und Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Huwiler K. Kurzanalyse: E-Trottinette in der Schweiz. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2024. DOI:10.13100/bfu.2.539.01.2024.
[2] Platho C, Paulenz A, Kolrep H. Wahrnehmungspsychologische Analyse der Radfahraufgabe. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH; 2016. Berichte der Bundesanstalt für Strassenwesen BASt, Mensch und Sicherheit M 267.
[3] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.
[4] Karpinski E, Bayles E, Daigle L, Mantine D. Characteristics of early shared e-scooter fatalities in the United States 2018–2020. Safety Science. 2022; 153(6): 105811. DOI:10.1016/j.ssci.2022.105811.