Ausgangslage
Verschiedene Studien zeigen, dass bei tödlichen Unfällen von E-Trottinett-Fahrenden häufig Motorfahrzeuge involviert sind (siehe [1–3]). Eine Studie zu 21 Todesfällen von Leih-E-Trottinett-Fahrenden in den USA zeigte, dass es sich bei den Kollisionsgegnern vor allem um Personenwagen (PW) (50 %) und bei weiteren 15 % um SUV oder Pickups handelt. Weitere 25 % der involvierten Fahrzeuge hatten ein Gewicht von 4,5 Tonnen oder mehr [4]. Neben der Geschwindigkeit dürften auch fahrzeugtechnische Eigenschaften der Kollisionsgegner eine Rolle spielen.
Die folgenden Angaben zum Zusammenhang zwischen den technischen Eigenschaften von Motorfahrzeugen und dem Unfall- bzw. Verletzungsrisiko der anderen Verkehrsteilnehmenden stammen zum grössten Teil aus der Literatur zu Velounfällen. Es ist davon auszugehen, dass die für Velofahrende sicherheitsrelevanten Aspekte auch für E-Trottinett-Fahrende von Bedeutung sind.
In diesem Text wird auf folgende Eigenschaften bei Personen-, Liefer- und Lastwagen eingegangen:
Eingeschränkte Sicht (toter Winkel)
Gerade bei grossen Sachentransportfahrzeugen gibt es Bereiche in Fahrzeugnähe, die für die Lenkenden nicht einsehbar sind. Besonders die ungenügende Sicht nach vorne und nach rechts bereitet Lastwagenlenkenden erhebliche Probleme. Bei Personenwagen können z. B. breite A-Säulen (zwischen Frontscheibe und Seitenfenster) die Sicht auf Velofahrende behindern [5].
Frontgeometrie
Form, Höhe und Neigung der Fahrzeugfront beeinflussen die Art und Weise, wie Velofahrende bei einer Kollision mit dem Fahrzeug in Kontakt kommen und wie schwerwiegend letztlich die Verletzungen sind. Vor allem grosse Sachentransportfahrzeuge haben oft eine hohe und steile Front, was das Risiko schwerer Verletzungen erhöht [5].
Frontsteifigkeit
Dieser Begriff bezieht sich auf die strukturbedingten Eigenschaften der Fahrzeugfront, d. h. der Stossstange, der Motorhaube und der darunter liegenden Strukturen von Karosserieteilen und Aggregaten. Vor allem grössere bzw. schwere Fahrzeuge sind oft sehr steif gebaut und absorbieren wenig Energie, was bei Kollisionen zu hohen Körperbelastungen für Velofahrende führt [5].
Fahrzeuggewicht
Das Gewicht der Kollisionsfahrzeuge beeinflusst die Aufprallenergie und damit das Risiko schwerer Verletzungen bei den Velofahrenden.
Verbreitung
Insbesondere Lastwagen weisen für Velo- und E-Trottinett-Fahrende ungünstige Eigenschaften wie tote Winkel, ungünstige Frontgeometrie und -steifigkeit sowie eine hohe Masse auf. Ihr Anteil an den in der Schweiz neu in Verkehr gesetzten Motorfahrzeugen betrug in den letzten Jahren etwas mehr als 1 % (Ø 2019–2023) [6]. Auch Lieferwagen weisen oft ungünstigere Frontprofile und mehr tote Winkel auf als Personenwagen. Ihr Anteil betrug im erwähnten Zeitraum gut 8 % [6].
Auch SUV weisen teilweise ungünstigere Eigenschaften für Velo- und E-Trottinett-Fahrende auf als herkömmliche Personenwagen. Allerdings gibt es innerhalb der SUV-Kategorie grosse Unterschiede in der Konstruktion, z. B. bei den toten Winkeln, der Frontgeometrie und der Steifigkeit. Auch innerhalb der Kategorie der Personenwagen gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen.
Eine genaue Abschätzung der Verbreitung von steifen Frontpartien ist nicht möglich. Es ist jedoch davon auszugehen, dass trotz der Bemühungen von Verbraucherschutzorganisationen (EuroNCAP) und der Automobilindustrie, die Frontpartien für ungeschützte Verkehrsteilnehmende zu entschärfen, ein grosser Teil der Fahrzeugflotte zu wenig verletzungsreduzierende Eigenschaften aufweist [5].
Gefährlichkeit
Die folgenden Erkenntnisse stammen aus der Literatur zu Velounfällen. Es ist davon auszugehen, dass sie auch für E-Trottinette gelten.
Eingeschränkte Sicht
Tote Winkel bergen die Gefahr, dass Velofahrende übersehen werden. Das grösste Risiko besteht bei Lastwagen, besonders beim Rechtsabbiegen: Velofahrende neben dem Fahrzeug können abgedrängt, angefahren oder bei ungenügendem Seitenschutz gar überrollt werden. Solche Unfälle sind oft sehr schwerwiegend [7].
Bei Personenwagen kann das Sichtfeld ebenfalls eingeschränkt sein, z. B. durch die A-Säule, was aber durch die Aufmerksamkeit der Lenkenden [5] oder durch Fahrerassistenzsysteme teilweise kompensiert werden kann.
Frontgeometrie, Frontsteifigkeit und Fahrzeuggewicht
Hohe und gleichzeitig steile Fronten wie bei Lastwagen führen bei einer Kollision häufig zu einem direkten und starken Kopfkontakt der Velofahrenden mit der Fahrzeugfront. Hohe Fronten bergen zudem die Gefahr, dass die Velofahrenden nach der Kollision weggeschleudert werden, was zu einem weiteren (Kopf-)Aufprall auf den Boden und zum Überrollen führen kann.
Flachere Fronten, wie sie oft bei Personenwagen zu finden sind, erlauben dagegen zumindest bei niedrigen Geschwindigkeiten ein gewisses Abrollen auf der Motorhaube. Bei höheren Geschwindigkeiten droht jedoch unter Umständen ein Aufprall auf die harte Umrahmung der Windschutzscheibe [5].
Steife Frontstrukturen können z. B. bei einem Kopfaufprall zu schweren Schädelverletzungen oder im Bereich der Stossstange zu massiven Fuss-, Bein- und Hüftverletzungen führen. Auch die Umrahmung der Windschutzscheibe stellt bei einem Aufprall ein erhebliches Risiko für Kopfverletzungen dar [5].
Schwere Kollisionsfahrzeuge erhöhen durch ihre höhere kinetische Energie bei Kollisionen das Risiko schwerer Verletzungen bei Velofahrenden [8].
Internationale Studien zeigen, dass das Risiko, schwer oder tödlich verletzt zu werden, für Velofahrende bei Kollisionen mit Lastwagen, Lieferwagen und SUV im Vergleich zu herkömmlichen Personenwagen erhöht ist [7,9,10].
Unfallrelevanz
Die Unfallstatistik enthält keine Angaben zu Sichteinschränkungen durch Elemente der Fahrzeugstruktur, sodass deren Unfallrelevanz schwer abzuschätzen ist. Da Unfälle aufgrund toter Winkel bei Lastwagen vergleichsweise selten sind und PW-Lenkende als häufigste Kollisionsgegner von E-Trottinett-Fahrenden tote Winkel teilweise selbst oder mittels moderner Fahrerassistenzsysteme kompensieren, lässt sich vermuten, dass die Unfallrelevanz von toten Winkeln nicht allzu gross ist.
Dagegen dürften die Frontgeometrie und insbesondere die weit verbreiteten, steifen Frontpartien eine hohe Relevanz für schwere Verletzungen bei Kollisionen von E-Trottinett-Fahrenden haben.
Hinweise
Innerhalb einer Fahrzeugkategorie (z. B. Lieferwagen, SUV oder Personenwagen) gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede in der Konstruktion, einschliesslich des toten Winkels, der Frontgeometrie und der Frontsteifigkeit. Verallgemeinernde Aussagen zur Gefährlichkeit einzelner Fahrzeugklassen sind daher mit Vorsicht zu interpretieren.
Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei E-Trottinett-Unfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Petraki V, Yannis G, Crist P, Deliali K. Safer micromobility: Technical background report. Paris: International Transport Forum ITF; 2024.
[2] Kumar S, Lee P, Zagales R et al. A comprehensive review of current trends in e-scooter associated injuries, associated outcomes, and effective interventions: Towards establishing sustainable prevention interventions. Injury. 2024; 55(12): 111967. DOI:10.1016/j.injury.2024.111967.
[3] Sexton EGP, Harmon KJ, Sanders RL et al. Shared e-scooter rider safety behaviour and injury outcomes: a review of studies in the United States. Transport Reviews. 2023; 43(6): 1263–1285. DOI:10.1080/01441647.2023.2219838.
[4] Karpinski E, Bayles E, Daigle L, Mantine D. Characteristics of early shared e-scooter fatalities in the United States 2018–2020. Safety Science. 2022; 153(6): 105811. DOI:10.1016/j.ssci.2022.105811.
[5] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.
[6] Bundesamt für Statistik BFS. Neue Inverkehrsetzungen von Strassenfahrzeugen nach Fahrzeuggruppe und Fahrzeugart; 2024. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/verkehrsinfrastruktur-fahrzeuge/fahrzeuge/strassen-neu-inverkehrsetzungen.assetdetail.30148868.html. 22.11.2024.
[7] Pokorny P, Pitera K. Truck-bicycle safety: an overview of methods of study, risk factors and research needs. Eur. Transp. Res. Rev. 2019; 11(1). DOI:10.1186/s12544-019-0371-7.
[8] Bahrololoom S, Young W, Logan D. Modelling injury severity of bicyclists in bicycle-car crashes at intersections. Accid Anal Prev. 2020; 144: 105597. DOI:10.1016/j.aap.2020.105597.
[9] Monfort SS, Mueller BC. Bicyclist crashes with cars and SUVs: Injury severity and risk factors. Traffic Inj Prev. 2023; 24(7): 645–651. DOI:10.1080/15389588.2023.2219795.
[10] Robartes E, Chen TD. The effect of crash characteristics on cyclist injuries: An analysis of Virginia automobile-bicycle crash data. Accid Anal Prev. 2017; 104: 165–173.