Ausgangslage
E-Trottinette müssen wie Velos auf der Veloinfrastruktur oder auf der Strasse fahren. Gefahrenstellen und Defizite der Velo-Infrastruktur sind also auch für E-Trottinett-Fahrende gefährlich. Weitere Risiken können sich aus der Kombination von infrastrukturellen Eigenschaften mit den spezifischen Fahrzeugeigenschaften der E-Trottinette, z. B. den kleinen Rädern, ergeben [1].
Die velospezifischen Infrastrukturelemente weisen oft Defizite auf. Diese können auf übergeordneter Ebene die Folge einer ungenügenden Netzplanung sein, aber auch auf ganz konkrete bauliche Mängel zurückzuführen sein. Defizite in der Strasseninfrastruktur treten auf verschiedenen Ebenen auf und lassen sich in drei Kategorien einteilen [2]:
- Fehlende Infrastrukturelemente: z. B. fehlende Velowege trotz hoher Nachfrage und ausreichenden Platzverhältnissen, zweistreifige Kreisel ohne separate Veloführung
- Falsche Infrastrukturelemente: z. B. markierte Velostreifen trotz ungenügender Platzverhältnisse
- Fehlerhafte Infrastrukturelemente: z. B. zu schmale Velostreifen, ungenügende Sichtverhältnisse an Knoten
Zusätzlich erhöhen Hindernisse im Fahrbahnbereich sowie Mängel im Unterhalt oder der Instandhaltung der Infrastruktur das Unfallrisiko für Velo- und E-Trottinett-Fahrende. Dazu gehören u. a. zu geringe Abstände zwischen Trottoir-Rändern und Tramschienen, exponierte Randsteinkanten, Schlaglöcher und Eisflächen [1,2]. In Norwegen beispielsweise handelt es sich gemäss einer Studie bei 40 % der E-Trottinett-Unfälle um Alleinunfälle, bei denen Hindernisse wie Tramschienen und Bordsteinkanten eine Rolle spielten (zitiert aus [3]).
Die Strasseninfrastruktur ist stark auf den motorisierten Verkehr ausgerichtet. Die gemeinsame Nutzung von Verkehrsflächen mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) erhöht für E-Trottinett-Fahrende das Risiko schwerer Unfälle. Eine Studie in den USA zeigte, dass sich E-Trottinett-Fahrende bei Unfällen auf den Verkehrsflächen des MIV schwerer verletzen als bei Unfällen auf anderen Verkehrsflächen [4].
Gemäss Studien und Expertenwissen gehören zu den wichtigsten Infrastruktur-Sicherheitsdefiziten für Velofahrende u. a. Sichtbehinderungen an Knoten, Kreisel mit Mischverkehr, hohe Abbiegegeschwindigkeiten des MIV an Knoten sowie Tramgeleise auf der Fahrbahn [2,5–9].
Verbreitung
Es gibt keine umfassende Übersicht darüber, welcher Anteil der Schweizer Strassen für E-Trottinett-Fahrende Gefahrenstellen und infrastrukturelle Sicherheitsdefizite aufweist. Erfahrungen aus der Praxis zeigen aber, dass es für den Veloverkehr vielerorts Defizite gibt.
Dies zeigen auch die Ergebnisse der Road Safety Inspections (RSI, SN 641 723) im Kanton Zürich, die systematisch dokumentiert und analysiert werden. Ungenügende Knotensichtweiten waren 2023 das häufigste Sicherheitsdefizit mit hoher Ausprägung (siehe Hinweis 1). Dies ist auch für E-Trottinett-Fahrende von grosser Bedeutung.
Weitere für den Veloverkehr relevante, öfters aufgetretene Defizite sind: fehlerhafte Knotengeometrien (z. B. zweispurige Zuführung an Kreiseln), die Geometrie der Velolängsführung (z. B. ungenügende Breite des Radstreifens), der Querschnitt der Verkehrsführung (z. B. ungenügende Breite der Fahrbahn) sowie die Art der Velolängsführung (z. B. fehlender Radstreifen) [10].
Gefährlichkeit
Infrastrukturelle Defizite und Gefahrenstellen erhöhen das Unfall- und Verletzungsrisiko für Velofahrende. Sie können zu Stürzen, kritischen Ausweichmanövern und Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmenden führen. Falsche oder fehlerhafte Infrastrukturelemente wie z. B. Velowege trotz vieler Grundstückzufahrten oder Einmündungen können auch eine Scheinsicherheit vermitteln und zu verminderter Vorsicht führen [2]. Es ist davon auszugehen, dass dies auch für E-Trottinett-Fahrende gilt.
Inwieweit spezifische Defizite und Gefahrenstellen das Unfall- und Verletzungsrisiko erhöhen, lässt sich allerdings kaum quantifizieren. Vereinzelt finden sich in der internationalen Literatur übergeordnete Aussagen für Velofahrende: So wird z. B. davon ausgegangen, dass Zweirichtungsvelowege an Kreuzungen ein mehr als doppelt so hohes Unfallrisiko für Velofahrende bergen als Einrichtungsradwege. Auch für Strassen mit Tramgleisen wurde ein um den Faktor 2–3 erhöhtes Unfallrisiko aufgezeigt [8].
Verschiedene Befragungen zeigen, welchen Schwierigkeiten E-Trottinett-Fahrende im Zusammenhang mit der Infrastruktur begegnen. In Brüssel beispielsweise wurden auf die Frage nach dem häufigsten Problem an erster Stelle Schlaglöcher und Unebenheiten der Oberfläche genannt. An zweiter Stelle folgte die gemeinsame Nutzung der Verkehrsflächen mit Autos [11]. E-Trottinett-Fahrende in Paris und in Deutschland nannten als häufigsten Grund für einen Unfall den schlechten Zustand der Fahrbahn [12,13], und in Österreich wurde Nässe als häufigste Ursache für einen Kontrollverlust genannt [14].
Besonders gefährlich für E-Trottinett-Fahrende sind Kollisionen mit Motorfahrzeugen: Eine Analyse von 21 Todesfällen von Leih-E-Trottinett-Fahrenden in den USA zeigte, dass diese in fast 90 % der Fälle mit einer Kollision mit einem Motorfahrzeug in Zusammenhang standen [15]. Der ungenügende Ausbau der Veloinfrastruktur und die daraus resultierende Notwendigkeit, im Mischverkehr mit dem MIV zu fahren, ist für die Sicherheit der E-Trottinett-Fahrenden daher ein gravierender Nachteil [1].
Unfallrelevanz
Aus der Unfallstatistik lässt sich nicht eindeutig ableiten, welche E-Trottinett-Unfälle auf infrastrukturelle Defizite zurückzuführen sind. Die meisten Defizite, d. h. fehlende, falsche und fehlerhafte Infrastrukturelemente, können im Unfallaufnahmeprotokoll nicht erfasst werden, da die Statistik primär auf andere Aspekte ausgelegt ist (siehe Hinweis 2). Enthalten sind nur wenige explizit infrastrukturelle Ursachen. Sie werden in der Statistik nur bei 2 % der schweren E-Trottinett-Unfälle als Hauptursache registriert (Ø 2019–2023). Dabei handelt es sich um lokal mangelhaften Strassenzustand, die spitzwinklige Gleisquerung und Hindernisse auf der Fahrbahn. Allerdings werden wohl auch diese Ursachen in der Unfallstatistik unterschätzt.
Auch wenn infrastrukturelle Gefahrenstellen und Defizite als Unfallursache statistisch nur eingeschränkt erfasst werden, ist aufgrund ihrer weiten Verbreitung und Gefährlichkeit davon auszugehen, dass sie eine wichtige Rolle im Unfallgeschehen von E-Trottinett-Fahrenden spielen. Die Unfallstatistik kann häufige Unfallkonstellationen aufzeigen und damit auf Schwerpunkte mit Handlungsbedarf hinweisen, selbst wenn die Rolle der Infrastruktur dabei nicht explizit nachgewiesen werden kann. Folgende Unfallkonstellationen sind bei schweren E-Trottinett-Unfällen häufig (Unfalldaten Ø 2019–2023):
- Mehr als 90 % der schweren E-Trottinett-Unfälle geschehen innerorts (92 %).
- Sowohl bei den Alleinunfällen als auch bei den Kollisionen ereignet sich nur eine Minderheit auf der Veloinfrastruktur (10 % bzw. 17 %).
- Etwa zwei Drittel der schweren E-Trottinett-Unfälle ereignen sich auf der freien Strecke, 18 % an Verzweigungen und Kreiseln und 11 % in Kurven.
Hinweise
- Defizite mit sehr grossem oder erheblichem Unfallrisiko
- Die Analyse der Hauptursachen in der schweizerischen Verkehrsunfallstatistik liefert nur begrenzte Hinweise auf infrastrukturelle Defizite. Im Fokus der Ermittlungen stehen meist unmittelbar sichtbare menschliche Faktoren und die Klärung von Verantwortlichkeiten bzw. der Schuldfrage. Infrastrukturelle Mängel erfordern hingegen oft eine spezifischere technische Analyse, die über die Routineunfallaufnahme hinausgeht, z. B. mittels In-Depth-Analysen oder der Infrastruktur-Sicherheitsinstrumente (ISSI).
Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei E-Trottinett-Unfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Alleinunfällen und Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Huwiler K. Kurzanalyse: E-Trottinette in der Schweiz. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2024. DOI:10.13100/bfu.2.539.01.2024.
[2] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.
[3] European Transport Safety Council ETSC, Hg. Improving the road safety of e-scooters: PIN Flash report 47. Brussels; 2024.
[4] Cicchino JB, Kulie PE, McCarthy ML. Severity of e-scooter rider injuries associated with trip characteristics. J Safety Res. 2021; 76: 256–261. DOI:10.1016/j.jsr.2020.12.016.
[5] Utriainen R, O’Hern S, Pöllänen M. Review on single-bicycle crashes in the recent scientific literature. Transport Reviews. 2023; 43(2): 159–177. DOI:10.1080/01441647.2022.2055674.
[6] Schüller H, Fehren-Schmitz K, Rühle A et al. Massnahmen und Potenziale im Bereich Infrastruktur: Forschungspaket VeSPA, Teilprojekt 2-M. Ittigen: Bundesamt für Strassen ASTRA; 2016. Forschungsbericht ASTRA 1598.
[7] Prati G, Marín Puchades V, de Angelis M et al. Factors contributing to bicycle–motorised vehicle collisions: A systematic literature review. Transp Rev. 2017; 38(2): 184–208. DOI:10.1080/01441647.2017.1314391.
[8] Nabavi Niaki M, Wijlhuizen GJ, Dijkstra A. Safety enhancing features of cycling infrastructure: Review of evidence from Dutch and international literature: Institute for Road Safety Research SWOV; 2021. R-2021-20.
[9] Uhr A. Verkehrssicherheit von Velos und E-Bikes im Kreisel. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2022. Forschung 2.463. DOI:10.13100/BFU.2.463.01.2022.
[10] Ringel L. Road Safety Inspection Jahresbericht 2023. Zürich: Tiefbauamt Kanton Zürich – Fachstelle Verkehrssicherheit; 2023.
[11] Service Public Régional de Buxelles SPRB – Bruxelles Mobilité. Enquête sur l’usage des trottinettes électriques à Bruxelles. Bruxelles: SPRB – Bruxelles Mobilité; 2019.
[12] 6t-bureau de recherche. Usages et usagers des trottinettes électriques en free-floating en France. Paris; 2019.
[13] Siebert FW, Ringhand M, Englert F et al. Braking bad – Ergonomic design and implications for the safe use of shared e-scooters. Saf Sci. 2021; 140(6): 105294. DOI:10.1016/j.ssci.2021.105294.
[14] Mayer E, Breuss J, Robatsch K et al. E-Scooter im Strassenverkehr: Unfallzahlen, Risikoeinschätzung, Wissenstand und Verhalten von E-Scooter-Fahrern im Strassenverkehr. Wien: Kuratorium für Verkehrssicherheit KfV; 2020. KFV – Sicher Leben 24.
[15] Karpinski E, Bayles E, Daigle L, Mantine D. Characteristics of early shared e-scooter fatalities in the United States 2018–2020. Safety Science. 2022; 153(6): 105811. DOI:10.1016/j.ssci.2022.105811.