Ausgangslage
Die Begriffe «Regelmissachtungen» und «Regelverstösse» umfassen sowohl bewusstes als auch unbewusstes Verhalten von Verkehrsteilnehmenden, das gegen die Vorschriften des Strassenverkehrsrechts verstösst.
Zu diesen Regelmissachtungen zählen beispielsweise das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit, Fahren unter Einfluss von Alkohol, Ablenkung sowie Vortrittsmissachtung. Diese Regelmissachtungen zählen zu den häufigsten Unfallursachen und werden daher auf eigenen Themenseiten behandelt.
Weitere Regelverstösse von E-Trottinett-Fahrenden im Strassenverkehr sind z. B.:
Fahren in der falschen Richtung oder auf nicht erlaubten Verkehrsflächen (z. B. Trottoir)
- Fahren zu zweit auf einem Fahrzeug
- Missachten des Rotlichts, eines anderen Signals oder einer Markierung
- Fahren mit ungenügender Beleuchtung
- Fahren trotz fehlender Berechtigung (z. B. noch nicht 14 Jahre alt)
Im Folgenden wird der Fokus auf diese Verstösse gelegt.
Es gibt viele Gründe, warum sich E-Trottinett-Fahrende nicht an die Regeln halten. Einer davon ist, dass sie die Regeln nicht genügend kennen. Eine Befragung in Österreich zeigt beispielsweise, dass etwa 20 % der Nutzerinnen und Nutzer fälschlicherweise der Meinung waren, dass sie auf den Trottoirs fahren dürfen oder dass es für sie keine Promillegrenze gibt [1].
In Deutschland wusste die Hälfte der befragten E-Trottinett-Fahrenden (51 %) nicht, dass beim E-Trottinett-Fahren die gleichen Alkoholgrenzwerte gelten wie beim Autofahren [2]. Diese Befragungen wurden vor einigen Jahren durchgeführt; es ist also möglich, dass die Regeln heute besser bekannt sind. Teilweise verstossen E-Trottinett-Fahrende aber auch bewusst gegen die Regeln, z. B. aus Bequemlichkeit, aufgrund von Zeitdruck oder weil sie die Risiken unterschätzen.
Verbreitung
Wie häufig E-Trottinett-Fahrende Regelmissachtungen begehen, kann durch Beobachtungen im Strassenverkehr oder durch Befragungen erhoben werden. Für die Schweiz gibt es eine entsprechende Befragung, bisher jedoch keine umfassenden Beobachtungsstudien (siehe Hinweis 1).
Verschiedene Studien zeigen, dass E-Trottinette auf nicht erlaubten Verkehrsflächen genutzt werden (z. B. [1,3–5]). In einer Befragung gab fast die Hälfte (46 %) der E-Trottinett-Fahrenden in der Schweiz an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal auf der Fussgängerinfrastruktur gefahren zu sein [6].
In Deutschland gaben 70 % der befragten E-Trottinett-Fahrenden an, sie seien schon auf der Fussgängerinfrastruktur gefahren [4]. Wie oft die Fussgängerinfrastruktur genutzt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wenn zum Beispiel Velostreifen/-wege vorhanden sind, wird sie weniger oft genutzt als an Orten, an denen die E-Trottinett-Fahrenden auf der Fahrbahn des motorisierten Individualverkehrs fahren müssten.
Auch andere Aspekte wie beispielsweise eine ungeeignete oder unangenehme Oberfläche (z. B. Kopfsteinpflaster) können dazu führen, dass eher auf der Fussgängerinfrastruktur gefahren wird [1,3,5]. Fahrten entgegen der erlaubten Fahrtrichtung sind ebenfalls nicht selten: Beobachtungen in Berlin und Dresden zeigten, dass bis zu 46 % der E-Trottinett-Fahrenden entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung fuhren [3].
Gemäss internationalen Beobachtungsstudien sind bis zu 5 % der E-Trottinett-Fahrten Tandemfahrten – also Fahrten zu zweit auf einem Fahrzeug [1,7]. In der Schweiz gab ein Viertel der befragten E-Trottinett-Fahrenden an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal mit einer oder mehreren anderen Personen gefahren zu sein [6].
Nicht selten kommt es auch zu einer Missachtung von Signalen (z. B. Lichtsignalen). Fast jeder und jede vierte befragte E-Trottinett-Fahrende in der Schweiz gab an, in den letzten 30 Tagen ein Rotlicht missachtet zu haben [6].
Gemäss Zählungen des Touring Clubs Schweiz im Frühjahr 2023 fuhr nur ein Drittel der beobachteten E-Trottinett-Fahrenden mit eingeschaltetem Licht – trotz Tagfahrlichtpflicht [8]. Beobachtungen in Österreich zeigen, dass in der Nacht 7 % der E-Trottinett-Fahrenden ganz ohne Licht und weitere 40 % mit ungenügendem Licht (nur vorne oder nur hinten) unterwegs waren [1].
Es kommt auch vor, dass E-Trottinette von Personen gelenkt werden, die zu jung dafür sind oder nicht über den notwendigen Führerausweis verfügen (siehe Hinweis 2). In internationalen Beobachtungsstudien wurden 1–4 % der E-Trottinett-Fahrenden als zu jung beurteilt [7]. Für die Schweiz sind die entsprechenden Zahlen nicht bekannt. Die Unfallstatistik zeigt jedoch, dass einige verunfallte E-Trottinett-Fahrende das Mindestalter von 14 Jahren noch nicht erreicht hatten [9].
Gefährlichkeit
Dass Regelmissachtungen von E-Trottinett-Fahrenden ein erhöhtes Unfallrisiko bergen, erscheint aus mehreren Gründen plausibel: Lichtsignale beispielsweise dienen dazu, die Wahrscheinlichkeit von Konflikten zwischen verschiedenen Verkehrsteilnehmenden zu reduzieren. Wer bei Rot fährt, erhöht daher das Konfliktrisiko. Zudem rechnen die potenziellen Kollisionsgegner in der Regel nicht mit Verkehrsteilnehmenden, die die Regeln verletzen, und übersehen sie daher öfters [10]. Quantitative Aussagen zum Unfallrisiko bei Regelverstössen von E-Trottinett-Fahrenden lassen sich aber bisher nicht machen.
Auch für Velofahrende sind nur wenige Studien zu diesem Thema verfügbar (siehe [10]). Diese zeigen jedoch, dass sich Velofahrerinnen und Velofahrer, die wegen Rotlicht- oder Vortrittsmissachtung Kollisionen verursachen, oft schwerer verletzen und dass die Unfallrate bei Fahrten in die verbotene Richtung auf Velowegen doppelt so hoch ist wie bei Fahrten in die erlaubte Richtung.
Unfallrelevanz
Für die Bestimmung der Unfallrelevanz wurden Ursachen, bei denen es sich um ein beabsichtigtes Fehl- oder Risikoverhalten handeln könnte, als Regelmissachtung angenommen. Die Analysen zeigen, dass insgesamt (inkl. Alkohol, überhöhte Geschwindigkeit usw.) bei 78 % der schweren Personenschäden von E-Trottinett-Fahrenden eine solche eigene Regelmissachtung die Hauptursache des jeweiligen Unfalls war.
Diese 78% teilen sich wie folgt auf: In etwa 30 % handelt es sich um Fahren unter Alkoholeinfluss, in 15 % um Unaufmerksamkeit oder Ablenkung, in 7 % um überhöhte Geschwindigkeit und in rund 6 % um Vortrittsmissachtungen.
20 % der schweren Personenschäden von E-Trottinett-Fahrenden sind auf übrige Regelmissachtungen zurückzuführen: Fahren unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss, Fehlverhalten bei Fahrbewegungen (z. B. zu nahes Aufschliessen) oder beim Überholen, Missachten von Lichtsignalen oder anderen Signalen sowie eine regelwidrige Nutzung der Infrastruktur (z. B. Befahren eines Fussgängerstreifens).
Bei diesen übrigen Regelmissachtungen handelt es sich am häufigsten um eine regelwidrige Nutzung der Infrastruktur (ca. 8 %), darunter vor allem das unerlaubte Befahren eines Trottoirs. Fahrten unter Drogeneinfluss und Fehlverhalten bei Fahrbewegungen sind bei je etwa 4 % der schweren Unfälle die Hauptursache.
Hinweise
- Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften untersucht in einer bis 2025 laufenden Studie sicherheitskritisches Verhalten von jungen E-Trottinett-Fahrenden und Einflussfaktoren darauf.
- In der Schweiz dürfen Personen ab 14 Jahren mit E-Trottinetten fahren. 14- und 15-Jährige brauchen dafür einen Führerausweis der Kategorie M (Mofaausweis). Ab 16 Jahren braucht es keinen solchen Ausweis mehr.
Zu beachten ist, dass es in der offiziellen Verkehrsunfallstatistik bei E-Trottinett-Unfällen eine hohe Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Alleinunfällen und Unfällen mit leichten Verletzungsfolgen. Dies erschwert verallgemeinerbare Aussagen auf Grundlage dieser Statistik.
Quellen
[1] Mayer E, Breuss J, Robatsch K et al. E-Scooter im Strassenverkehr: Unfallzahlen, Risikoeinschätzung, Wissenstand und Verhalten von E-Scooter-Fahrern im Strassenverkehr. Wien: Kuratorium für Verkehrssicherheit KfV; 2020. KFV – Sicher Leben 24.
[2] Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. DVR. DVR startet erste bundesweite Kampagne zu E-Scootern: „Roll ohne Risiko!“. Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V. DVR, Hg; 2020. https://www.dvr.de/presse/pressemitteilungen/dvr-startet-erste-bundesweite-kampagne-zu-e-scootern-roll-ohne-risiko.
[3] Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. GDV. Verkehrssicherheit von E-Scootern: Unfallforschung kompakt Nr. 110. Berlin: Unfallforschung der Versicherer UDV; 2021. Unfallforschung kompakt Nr. 110.
[4] Siebert FW, Ringhand M, Englert F et al. Braking bad – Ergonomic design and implications for the safe use of shared e-scooters. Saf Sci. 2021; 140(6): 105294. DOI:10.1016/j.ssci.2021.105294.
[5] Portland Bureau of Transportation PBOT. 2018 e-scooter findings report. Portland: PBOT; 2019.
[6] Vias Institute, Hg. Switzerland - ESRA3 Country Fact Sheet. ESRA3 survey (E-Survey of Road users' Attitudes); 2024.
[7] Janikian GS, Caird JK, Hagel B, Reay G. A scoping review of e-scooter safety: Delightful urban slalom or injury epidemic? Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour. 2024; 101(February): 33–58. DOI:10.1016/j.trf.2023.12.015.
[8] Touring Club Schweiz TCS. TCS-Zählung: Zwei Drittel der Trottinetts missachten die Pflicht zum Fahren mit Licht am Tag. Vernier; 2023. https://www.tcs.ch/de/der-tcs/presse/medienmitteilungen-2023/zweiraeder-lichter.php. Zugriff am 25.06.2024.
[9] Huwiler K. Kurzanalyse: E-Trottinette in der Schweiz. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2024. DOI:10.13100/bfu.2.539.01.2024.
[10] Uhr A. Regelmissachtungen im Veloverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2021. Forschung 2.396. DOI:10.13100/BFU.2.396.01.2021.