Ausgangslage
Junge Erwachsene sind überdurchschnittlich häufig von schweren Verkehrsunfällen betroffen, vor allem, wenn sie mit Motorfahrzeugen unterwegs sind. Das erhöhte Unfallrisiko ist auf eine Kombination aus fehlender Erfahrung und entwicklungsbedingten Risikofaktoren zurückzuführen: Ab 18 Jahren dürfen erstmals stark motorisierte Fahrzeuge genutzt werden, wofür in der Anfangsphase noch Erfahrung und Routine fehlen.
Zudem befinden sich 18- bis 24-Jährige noch in der Entwicklungsphase des Erwachsenwerdens. Gewisse Gehirnbereiche, insbesondere der präfrontale Kortex, sind noch nicht vollständig entwickelt. Dieser Bereich ist für eine Vielzahl höherer kognitiver Funktionen verantwortlich wie Planung, Entscheidungsfindung, Impulskontrolle, Risikoeinschätzung und soziales Verhalten. Auch die psychosoziale Reifung läuft in diesem Alter noch intensiv [1–4].
Entwicklungsbedingt neigen junge Erwachsene eher dazu, Risiken einzugehen und sie sind anfälliger für Gruppendruck. Als Motorfahrzeuglenkende haben sie noch mehr Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeitssteuerung auf relevante Verkehrselemente, sind anfälliger für Ablenkungen und können Gefahren weniger gut antizipieren und beurteilen [1–3].
Gleichzeitig neigen sie zur Überschätzung ihrer Fähigkeiten [1–3]. Auch der Lebensstil und die psychosoziale Entwicklung im jungen Erwachsenenalter können Unfälle begünstigen. So werden im jungen Erwachsenenalter beispielsweise episodisch grössere Mengen Alkohol konsumiert und es wird vermehrt in Wochenendnächten und mit gleichaltrigen Passagieren gefahren [4,5].
Studien zeigen, dass das chronologische Alter der jungen Erwachsenen unabhängig von der Fahrerfahrung einen Einfluss auf das Risiko für schwere Unfälle hat. Mit zunehmendem Alter nimmt das Unfallrisiko bis ins mittlere Erwachsenenalter ab [4].
Verbreitung
Entwicklungsbedingte Einschränkungen mit Auswirkungen auf eine sichere Verkehrsteilnahme können alle jungen Erwachsenen betreffen, wobei individuelle Unterschiede bestehen. Da das alters- bzw. entwicklungsbedingte Unfallrisiko mit zunehmendem Alter abnimmt, haben 18-Jährige noch ein deutlich höheres Risiko als 24-Jährige.
Die entwicklungsbedingten Einschränkungen kommen längst nicht in allen Verkehrssituationen zum Tragen. Sie wirken sich insbesondere dann problematisch auf die Verkehrssicherheit aus, wenn junge Erwachsene Motorfahrzeuge lenken. Diese ermöglichen höhere Geschwindigkeiten und bergen damit ein höheres Unfall- und Verletzungsrisiko. Die mangelnde Erfahrung erhöht das Risiko zumindest in der Anfangsphase zusätzlich.
Insgesamt zeigen vor allem jungen Männer ein riskanteres Fahrverhalten. Sie neigen generell stärker zu risikoreichem Verhalten als junge Frauen. Im Strassenverkehr sind sie häufiger mit gefährlicheren Fahrzeugen wie Motorrädern unterwegs und zeigen sicherheitsabträglicheres Verhalten wie riskante Fahrmanöver und überhöhte Geschwindigkeit [4].
Gefährlichkeit
Die entwicklungsbedingten Besonderheiten im jungen Erwachsenenalter können zu einem erhöhten Unfallrisiko führen, zumal sich die verschiedenen Risikofaktoren kumulieren können. Eine erhöhte Risikoneigung und Tendenz zur Selbstüberschätzung begünstigen riskantes Fahrverhalten [4].
Die noch eingeschränkte Impulskontrolle und Aufmerksamkeitssteuerung zeigen sich auch darin, dass junge Erwachsene beim Autofahren häufiger Nebentätigkeiten ausüben [4,6]. Diese Neigung zu Ablenkung und Nebentätigkeiten ist bei unerfahrenen Lenkenden besonders problematisch, da sie aufgrund mangelnder Erfahrung und Routine für die Fahraufgabe noch mehr kognitive Ressourcen benötigen. Jede zusätzliche Ablenkung verringert diese ohnehin begrenzten Ressourcen weiter und erhöht damit das Unfallrisiko.
Auch die Anwesenheit von gleichaltrigen Passagierinnen und Passagieren kann unter Umständen das Unfallrisiko erhöhen. Vor allem für die Kombination aus männlichem Fahrer und mehreren männlichen Passagieren wurden erhöhte Risiken aufgezeigt. Auch Fahrten in Wochenendnächten sind mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden, u. a. aufgrund von erhöhter Müdigkeit, Alkohol und schlechteren Sichtverhältnissen [4].
Unfallrelevanz
Aus der Verkehrsunfallstatistik lässt sich nicht eindeutig ableiten, wie häufig entwicklungsbedingte Einschränkungen zu einem Unfall geführt haben. Solche Einschränkungen können nicht nur dazu führen, dass junge Lenkende Unfälle verursachen, sondern auch dazu, dass sie drohende Gefahren nicht rechtzeitig antizipieren und vermeiden können. Im Folgenden wird der Fokus auf selbst verursachte Unfälle von Lenkerinnen und Lenkern von Personenwagen (PW) und Motorrädern gelegt. Unter jungen Erwachsenen werden Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren verstanden.
Geht man davon aus, dass alle schweren Personenschäden von jungen Erwachsenen, die als PW- oder Motorradlenkende den Unfall selbst verursacht haben, auf entwicklungsbedingte Einschränkungen zurückzuführen sind, entspricht dies 47 % aller schweren Personenschäden von jungen Erwachsenen im Strassenverkehr. 4 von 5 dieser jungen Lenkenden sind männlich (Ø 2019–2023).
Mehr als ein Drittel dieser schweren Unfälle ist auf nicht angepasste oder überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen. Dies gilt sowohl für PW-Lenkende als auch für Motorradfahrende. An zweiter Stelle folgt bei den PW-Lenkenden Alkohol (22 %), bei den Motorradfahrenden Unaufmerksamkeit und Ablenkung (26 %).
Zu beachten ist, dass wohl nicht alle Unfälle junger Motorfahrzeuglenkender auf entwicklungsbedingte Einschränkungen zurückzuführen sind, insbesondere auch, da mangelnde Erfahrung unabhängig vom Alter einen Einfluss auf das Unfallgeschehen hat [4].
Hinweise
Die meisten Informationen in diesem Text stammen aus der Literaturarbeit von Hertach et al. (2019) [4]. Die Originalquellen der erwähnten Befunde können dieser Literaturarbeit entnommen werden.
Quellen
[1] Uhr A, Ewert U, Niemann S et al. Sicherheit von Jugendlichen im Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2018. Sicherheitsdossier Nr. 17. DOI:10.13100/bfu.2.336.01.
[2] Konrad K, Firk C, Uhlhaas PJ. Hirnentwicklung in der Adoleszenz: Neurowissenschaftliche Befunde zum Verständnis dieser Entwicklungsphase. Deutsches Ärzteblatt. 2013; 110(25): 425–431. DOI:10.3238/arztebl.2013.0425.
[3] SWOV Institute for Road Safety Research. Young drivers: SWOV Fact sheet, September 2021. The Hague; 2021.
[4] Hertach P, Uhr A, Ewert U et al. Sicherheit von jungen Erwachsenen im Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2019. Sicherheitsdossier Nr. 18. DOI:10.13100/bfu.2.349.01.
[5] BFS. Risikoreicher Alkoholkonsum, 2022. Bundesamt für Statistik BFS, Hg; 2024. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home.assetdetail.30546348.html. 16.05.2024.
[6] Niemann S, Hertach P. Erhebungen 2023: Ablenkung im Strassenverkehr: Autolenkerinnen und Autolenker. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2023. DOI:10.13100/bfu.2.517.01.2023.