Einleitung
Kinder gehören zu den besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmenden. Aufgrund ihrer Körpergrösse, ihres oft unvorhersehbaren Verhaltens und der altersbedingt eingeschränkten (kognitiven) Fähigkeiten sind sie einem höheren Unfallrisiko ausgesetzt – vor allem, wenn sie zu Fuss, mit dem Trottinett oder dem Velo unterwegs sind.
Umso wichtiger ist es, dass sowohl die Fahrzeuge, mit denen Kinder unterwegs sind, als auch jene der Kollisionsgegner mit Sicherheitssystemen ausgestattet sind, die nicht nur im Ernstfall vor schweren Verletzungen schützen (passive Sicherheit), sondern bereits im Vorfeld zur Unfallvermeidung beitragen (aktive Sicherheit).
Aktuelle Situation
Aktive Sicherheitstechnik
Bei aktiver Sicherheitstechnik handelt es sich in erster Linie um sicherheitsrelevante Fahrerassistenzsysteme (FAS), die punktuell in gefährlichen Situationen eingreifen und Unfälle verhindern können (siehe Hinweis 1).
Zu den wichtigsten FAS in zweispurigen Fahrzeugen zur Prävention von Unfällen mit Kindern zählen:
- Notbremsassistent: Er erkennt eine drohende Kollision mit anderen Fahrzeugen oder Hindernissen und leitet automatisch eine Vollbremsung ein. Der Notbremsassistent ist heute gemäss der EU-Verordnung 2019/2144 [1] in allen Neufahrzeugen vorgeschrieben. Die hochentwickelte Systemvariante erkennt zusätzlich querende Velofahrende, Fussgängerinnen und Fussgänger, darunter auch Kinder, sowie Tiere auf der Fahrbahn, selbst in komplexen Situationen wie beim Abbiegen oder an Kreuzungen.
- Rückfahrassistent: Er überwacht den Bereich hinter dem Fahrzeug und bremst bei Gefahr selbstständig ab – etwa, wenn sich ein Kind hinter dem Fahrzeug befindet, das von der Person am Steuer nicht gesehen wurde.
- Abbiegeassistent: Er warnt beim Rechtsabbiegen vor Personen im toten Winkel – etwa vor Kindern auf dem Velo oder Trottinett oder zu Fuss. Schwere und oft tödliche Kollisionen können so verhindert werden.
Weiterführende Informationen zu diesen Systemen, z. B. zu den rechtlichen Einführungszeitpunkten, sind auf der Website des ASTRA verfügbar. Eine vollständige Auflistung aller sicherheitsrelevanter FAS, die in der Schweiz obligatorisch verbaut sein müssen, findet sich hier ((LINK PW AKTIVE FAHRZEUGTECHNISCHE MASSNAHMEN)).
Im Vergleich zu zweispurigen Fahrzeugen verfügen einspurige Fahrzeuge wie Velos, E-Bikes, Mofas und Motorräder über deutlich weniger integrierte FAS. Ein Antiblockiersystem (ABS) verhindert das Blockieren der Räder beim Bremsen und trägt zur Fahrstabilität und Lenkbarkeit von E-Trottinetten, E-Bikes und Motorrädern in Gefahrensituationen bei. Befinden sich Kinder als Mitfahrende auf dem E-Bike oder Motorrad, profitieren auch sie davon. Bei Motorrädern erhöhen zusätzliche Systeme wie Kurven-ABS (für Schräglagen) oder Motorrad-ESC (elektronisches Stabilitätsprogramm) die Fahrsicherheit. Einige Modelle verfügen zudem über Totwinkel-Warner, die vor Hindernissen im toten Winkel warnen. Nur das Motorrad-ABS (für Motorräder mit einem Hubraum von über 125 cm3) ist bisher gesetzlich vorgeschrieben.
Passive Sicherheitstechnik
Sie schützt Kinder im Falle eines Unfalls, wenn sie entweder selbst auf ihren Fahrzeugen (Velos, Trottinett) oder als Mitfahrende z. B. auf dem Velo oder im Auto unterwegs sind.
- Kinder auf Velo oder Trottinett: Wichtig sind funktionstüchtige Bremsen, eine gut sichtbare Beleuchtung (vorne und hinten), reflektierende Elemente sowie ein gut sitzender Helm.
- Mitfahrende Kinder auf Velos, E-Bikes oder Cargobikes: Hier sind geprüfte Kindersitze mit Gurtsystemen (z. B. Fünfpunktgurt), sichere Montage (z. B. mit Norm EN 14344) und bei Cargobikes und Anhängern zusätzliche Schutzmassnahmen wie Überrollbügel und gepolsterte Sitzflächen entscheidend. Auch ein Wetterschutz kann zur indirekten Sicherheit beitragen, etwa durch bessere Sicht.
- Mitfahrende Kinder im Auto: Im Auto müssen Kinder je nach Alter, Grösse und Gewicht mit passenden Kinderrückhaltesystemen gesichert werden (Babyschale, Kindersitz, Sitzerhöhung). Systeme mit ISOFIX bieten zusätzliche Stabilität und einfache Handhabung. Wichtig ist auch die Deaktivierung des Beifahrer-Airbags beim rückwärtsgerichteten Kindersitz. Grundsätzlich gelten alle modernen Insassenschutzmassnahmen wie Gurtstraffer und Airbags auch für Kinder – in Kombination mit einem passenden Sitzsystem.
- Kinder zu Fuss: Bei einer Kollision mit einem zweispurigen Motorfahrzeug ist der Aufprallpunkt bei kleinen Kindern aufgrund ihrer geringeren Körpergrösse typischerweise deutlich tiefer gelegen – etwa im Bereich der Stossstange. Es ist deshalb besonders relevant, die Fahrzeugfronten möglichst kindersicher zu gestalten, um das Verletzungsrisiko zu reduzieren. Eine niedrige und geneigte Frontpartie senkt die Aufprallhöhe und sorgt dafür, dass Kinder eher auf die Motorhaube gehoben als direkt von der Stossstange getroffen werden. Abgerundete Formen und der Verzicht auf harte Kanten helfen, die Aufprallenergie gleichmässiger zu verteilen – besonders im sensiblen Kopf- und Beinbereich. Nachgiebige Stossstangen, die sich gezielt verformen, bieten zusätzlichen Schutz, indem sie die Aufprallkräfte reduzieren.
Eine Aufzählung weiterer passiver Sicherheitseinrichtungen findet sich hier ((LINK PW PASSIVE FAHRZEUGTECHNISCHE MASSNAHMEN)).
Präventionsnutzen
Der Nutzen von FAS und passiven Sicherheitseinrichtungen zur Prävention von Kinderunfällen ist je nach Fahrzeugtyp unterschiedlich. Bei zweispurigen Motorfahrzeugen ist jedoch von einem hohen Nutzen für die Sicherheit von Kindern auszugehen. Die genannten FAS sind gesetzlich vorgeschrieben und ihre Flottendurchdringung wird dadurch immer weiter zunehmen. Sie tragen dazu bei, Kinder sowohl im Fahrzeug als auch im Strassenraum wirksam zu schützen. Auch bei den passiven Sicherheitseinrichtungen sorgen verbindliche Vorgaben im Rahmen der Typgenehmigung dafür, dass Fahrzeuge grundlegende Schutzanforderungen erfüllen müssen.
Bei Motorrädern und E-Bikes ist der direkte Schutz für Kinder deutlich eingeschränkter. Sie setzen durch ihre geringere Masse zwar weniger kinetische Energie frei, im Vergleich zu Autos sind bei ihnen aber deutlich weniger FAS und passive Sicherheitseinrichtungen vorhanden. Zudem ist der Schutz für Kinder als Mitfahrende sehr gering, sollte es zu einem Sturz oder einer Kollision kommen.
Optimierungspotential
Positiv ist, dass bereits zahlreiche aktive Sicherheitssysteme in Fahrzeugen gesetzlich vorgeschrieben sind. Es besteht jedoch noch Optimierungspotenzial bei der aktiven und passiven Fahrzeugtechnik.
Gesetzliche Regulierung
Während viele Systeme bei zweispurigen Motorfahrzeugen verpflichtend sind, fehlen solche Vorgaben bei den einspurigen Fahrzeugen wie Motorrädern und E-Bikes fast vollständig. Bei Autos stellt sich zudem die Frage, ob alle sicherheitsrelevanten Systeme bereits bei den verpflichtenden Schritten berücksichtigt wurden. So ist beispielsweise der intelligente Geschwindigkeitsassistent (ISA) in der Schweiz weiterhin fakultativ. Gerade in kinderreichen Zonen (z. B. Schulumgebung, Wohnquartiere) wäre es jedoch sinnvoll, wenn Fahrzeuge automatisch die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschreiten könnten.
Systemzuverlässigkeit von FAS
Die zuverlässige Funktion von FAS unter allen Einsatzbedingungen ist nach wie vor eine Herausforderung. Zum Beispiel funktionieren Notbremssysteme bei schlechten Licht- und Witterungsverhältnissen weniger zuverlässig [z.B. 2,3], und einige Notbremssysteme haben Probleme, Personen mit reflektierender Kleidung zu erkennen [4].
Passive Sicherheitstechnik
Die genannten Elemente bleiben trotz der enormen Entwicklungen im Bereich der aktiven Sicherheitssysteme relevant und dürfen nicht vernachlässigt werden. Kollisionen mit Kindern wird es auch zukünftig geben, und die Entwicklung zur Folgenminderung bei solchen Ereignissen muss weiter vorangetrieben und noch besser auf Kinder zugeschnitten werden. Gesetzliche Verankerungen und auf die relevanten Aspekte ausgerichtete, objektive Tests durch Verbraucherschutzorganisationen (z. B. Euro NCAP) geben solchen Entwicklungen die notwendige Dynamik.
Fazit
Kinder sind im Strassenverkehr besonders gefährdet – wenn sie selbst zu Fuss oder auf dem Velo oder Trottinett unterwegs sind; aber auch als Mitfahrende in oder auf Motorfahrzeugen. Aktiven Sicherheitssystemen wie Notbrems-, Rückfahr- und Abbiegeassistenten kommt beim Schutz von Kindern eine besonders wichtige Rolle zu, weil sie Unfälle von vornherein vermeiden können.
Durch entsprechende gesetzliche Vorschriften sind immer mehr zweispurige Fahrzeuge (Autos, Lastwagen etc.) zunehmend gut mit aktiven Sicherheitssystemen ausgestattet. Dies trifft nicht für Motorräder und E-Bikes zu. Handlungsbedarf liegt in der Verbesserung der Zuverlässigkeit bestehender aktiver Sicherheitssysteme sowie der Ausdehnung entsprechender regulativer Vorgaben auch für einspurige Fahrzeuge. Ausserdem sollten die Sicherheitssysteme obligatorisch sein.
Aber auch passive Sicherheitseinrichtungen wie Kindersitze und optimierte Fahrzeugfronten tragen im Falle eines Unfalls wesentlich dazu bei, Verletzungen zu mindern. Wichtig ist, bei all den modernen aktiven Systemen auch die passive Sicherheitstechnik nicht zu vernachlässigen und weiterzuentwickeln, denn es werden sich auch in Zukunft nicht alle Unfälle vermeiden lassen.
Hinweise
- FAS in vierspurigen Motorfahrzeugen lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: 1) Sicherheitsrelevante FAS – sie dienen primär der Erhöhung der Sicherheit und umfassen Systeme, die informieren, warnen und im Notfall eingreifen (z. B. Notbremsassistent); 2) Komfortsysteme – sie dienen primär der Erhöhung des Fahrkomforts und unterstützen dauerhaft beim Beschleunigen, Bremsen und/oder Lenken (z. B. aktiver Lenkassistent oder Autobahnpilot).
- Die persönliche Schutzausrüstung bei Motorrad- und E-Bike-Fahrenden wird in separaten Texten behandelt ((LINKS HIER)).
Quellen
[1] Europäisches Parlament; Rat der Europäischen Union. Verordnung (EU) 2019/2144 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre allgemeine Sicherheit und den Schutz der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern, zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 78/2009, (EG) Nr. 79/2009 und (EG) Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnungen (EG) Nr. 631/2009, (EU) Nr. 406/2010, (EU) Nr. 672/2010, (EU) Nr. 1003/2010, (EU) Nr. 1005/2010, (EU) Nr. 1008/2010, (EU) Nr. 1009/2010, (EU) Nr. 19/2011, (EU) Nr. 109/2011, (EU) Nr. 458/2011, (EU) Nr. 65/2012, (EU) Nr. 130/2012, (EU) Nr. 347/2012, (EU) Nr. 351/2012, (EU) Nr. 1230/2012 und (EU) 2015/166 der Kommission ABI. L 325 vom 16.12.2019.
[2] Atasayar H, Deublein M, Zimmermann J, Schneider F. Zuverlässigkeit von Notbremsassistenten zum Schutz von ungeschützten Verkehrsteilnehmer*innen: Versuchsdokumentation. Wien, Bern; 2021.
[3] Cicchino JB. Effects of automatic emergency braking systems on pedestrian crash risk. Accid Anal Prev. 2022; 172: 106686. DOI:10.1016/j.aap.2022.106686.
[4] Kidd DG, Spivey DW. A case study of nighttime pedestrian automatic emergency braking performance under different roadway ligthing and pedestrian clothing conditions. Preprint version. Ruckersville, VA. January. Updated January.