Einleitung
Passive sicherheitsfördernde Fahrzeugtechnik (im Folgenden passive Sicherheitseinrichtungen genannt) umfasst Fahrzeugausstattungen und -eigenschaften, die darauf abzielen, die Verletzungsschwere bei oder nach einem Unfall zu verringern, indem sie auf den Körper einwirkende Kräfte reduzieren. Sie schützt die Insassinnen und Insassen von Personenwagen (PW) sowie Kollisionsgegner (z. B. Velofahrerinnen und Velofahrer).
Zu den wichtigsten passiven Sicherheitseinrichtungen für Fahrzeuginsassen gehören:
- Fahrgastzelle: Der stabile, unverformbare Innenraum des Fahrzeugs, der den Fahrgastbereich umschliesst
- Knautschzone: Speziell konzipierte Bereiche der Fahrzeugkarosserie, die bei einer Kollision gezielt deformieren, um die Aufprallenergie zu absorbieren.
- Sicherheitsgurt: Moderne Gurtsysteme, oft in Kombination mit Gurtstraffern und Gurtkraftbegrenzern, sie halten die Insassen sicher in ihrer Sitzposition. Sie fixieren Personen bei einem Unfall und reduzieren die biomechanische Belastung.
- Kindersitz: Abgestimmt auf Grösse und Gewicht des Kindes sichert er es in einer optimalen Position, um im Falle eines Unfalls die Aufprallkräfte bestmöglich zu verteilen und absorbieren.
- Airbag: Neben den Frontairbags gibt es diverse weitere Varianten wie Seiten-, Vorhang-, Knie- oder Gurtairbags. Sie sind darauf ausgelegt, bei einem Unfall zusätzlichen Schutz zu bieten, indem sie den Aufprall auf harte Oberflächen verhindern.
- Reaktive Kopfstützen: Kippt bei einem Heckaufprall nach vorne, um den Kopf frühzeitig zu stützen und das Risiko von Nackenverletzungen zu verringern.
- Sicherheitslenksäule: Gibt bei einem Frontalaufprall kontrolliert nach oder knickt ein. Durch die gezielte Verformung wird verhindert, dass die Lenksäule in den Fahrgastraum eindringt und den Fahrzeuglenker oder die Fahrzeuglenkerin verletzt.
- Überrollschutz bei Cabriolets: Bieten im Falle eines Überschlags Schutz, indem sie den Fahrgastraum stabilisieren und die Aufprallenergie ableiten.
Die folgenden passiven Sicherheitseinrichtungen zielen insbesondere darauf ab, Verletzungen der Kollisionsgegner zu reduzieren, vor allem von verletzlichen Verkehrsteilnehmenden wie Fussgängerinnen und Fussgängern.
- Niedrige und geneigte Frontpartie: Verteilt die Aufprallenergie besser als eine hohe, steile Front und verringert so das Risiko schwerer Kopf- und Brustverletzungen, da der Aufprallpunkt tiefer liegt und die Kräfte effektiver absorbiert werden.
- Abgerundete Frontpartie: Durch weniger harte Kanten und eine optimierte Formgebung wird die Aufprallenergie besser verteilt, wodurch schwere Verletzungen verringert werden.
- Aktive Motorhaube: Bei einem Aufprall wird die Motorhaube des Unfallfahrzeugs um einige Zentimeter angehoben. Die Aufprallkräfte werden dadurch reduziert und so Verletzungen abgemildert.
- Aussenairbag: Bei einem Aufprall bietet der Airbag eine gepolsterte Oberfläche, die die Aufprallkräfte reduziert und so Verletzungen abmildert.
- Nachgiebige Stossstange: Die Stossstange ist so konstruiert, dass sie sich bei einem Aufprall kontrolliert verformt und weniger starre Widerstände bietet.
- Flexibel gelagerte und verformbare Frontscheibe: Die Windschutzscheibe ist so gestaltet, dass sie sich bei einem Aufprall leicht verformt oder in einer definierten Weise nachgibt, anstatt eine harte, starre Widerstandskraft zu bieten.
- Verdeckte Scheibenwischer: Verbergen der Scheibenwischer unter der Motorhaube oder in speziellen Vertiefungen, um die Gefahr schwerer Kopfverletzungen von Kollisionsgegnern, die auf die Windschutzscheibe aufprallen, zu verringern.
Aktuelle Situation
In der EU sind passive Sicherheitseinrichtungen im Rahmen der Zulassungsverfahren in erster Linie über die Typengenehmigung geregelt. Die Sicherheitsanforderungen, die Fahrzeuge erfüllen müssen, um eine Typengenehmigung zu erhalten, sind primär in der EU-Verordnung 2018/858 [1] festgelegt. Diese Verordnung regelt die allgemeinen Sicherheitsstandards für Fahrzeuge, einschliesslich der Anforderungen an passive Sicherheitseinrichtungen (für Details siehe [2]).
Die Prüfmethoden und konkreten technischen Anforderungen an die einzelnen Sicherheitseinrichtungen (z. B. an Sicherheitsgurte, Airbags oder Kopfstützen) werden grösstenteils durch UNECE-Regelungen (siehe Hinweis 1) definiert.
Für einige Sicherheitseinrichtungen gilt eine Einbaupflicht (z. B. Sicherheitsgurte, Kopfstützen), für andere nicht (z. B. Airbag oder Gurtstraffer). Dennoch werden viele dieser Sicherheitseinrichtungen in nahezu allen Fahrzeugen verbaut, um die in den Crashtests im Rahmen der Typengenehmigung geforderten Schutzwirkungen zu erfüllen (z. B. in Bezug auf den Frontalaufprallschutz).
Prüfverfahren von Euro NCAP wirken als zusätzlicher, unabhängiger Hebel für die Fahrzeugsicherheit, der sowohl die Kaufentscheidung als auch die Entwicklungsarbeit der Hersteller beeinflusst. Euro NCAP führt unter anderem standardisierte Crashtests und Bewertungsszenarien (z. B. Frontal-, Seiten- und Überschlagstests sowie Fussgängerschutztests) durch, die reale Unfallbedingungen möglichst gut abbilden. Hersteller orientieren sich an den Euro-NCAP-Testprotokollen, um eine möglichst hohe Sicherheitsbewertung und damit einen Marktvorteil zu erzielen.
Präventionsnutzen
Passive Sicherheitseinrichtungen verhindern zwar keine Unfälle, tragen jedoch dazu bei, die Verletzungsschwere erheblich zu mindern. Durch die Kombination verschiedener passiver Sicherheitssysteme wird nicht nur der individuelle Insassenschutz maximiert, sondern auch der Schutz der Kollisionsgegner wie zum Beispiel der von Velofahrenden oder Fussgängerinnen und Fussgängern. Der Nutzen zur Minderung der Verletzungsschwere ist hoch.
Insgesamt haben passive Sicherheitseinrichtungen in den vergangenen Jahrzehnten, seit ihrem Anfang in den 1950er-Jahren mit der Erfindung der Knautschzone, massgeblich dazu beigetragen, die Zahl der Schwerverletzten und Getöteten im Strassenverkehr zu senken.
Optimierungspotential
Trotz hoher Sicherheitsstandards gibt es noch grosses Potenzial, die passive Sicherheit weiter zu verbessern. So können beispielsweise zentrale Airbagsdas Zusammenstossen der Köpfe bei einem Seitenaufprall verhindern.
Karosserien aus leichten, stabilen Materialien wie hochfestem Stahl, Aluminium und Carbonfasern verbessern die Sicherheit bei Kollisionen. Diese Materialien machen Fahrzeuge nicht nur leichter, sondern ermöglichen auch eine bessere Verteilung der Aufprallenergie, was die Crashkompatibilität erhöht und die Verletzungsgefahr bei Kollisionen mit unterschiedlich grossen Fahrzeugen reduziert.
Moderne Fahrzeuge nutzen zunehmend adaptive Sicherheitseinrichtungen, die sich an bestimmte Merkmale der Insassen und der Umgebung anpassen. Diese Systeme umfassen nicht nur intelligente Rückhaltesysteme (z. B. adaptiert für ältere Menschen, siehe Hinweis 2), sondern auch Technologien wie Pre-Crash-Systeme, die frühzeitig Massnahmen einleiten, um die biomechanische Belastung zu minimieren.
Pre-Crash-Systeme straffen z. B. Gurte bereits vor einem drohenden Aufprall, um die Personen frühzeitig zu stabilisieren. Sie arbeiten oft Hand in Hand mit aktiven Sicherheitseinrichtungen wie zum Beispiel dem Notbremsassistenten und sind so ein Beispiel für die Vernetzung von aktiven und passiven Sicherheitseinrichtungen.
Schliesslich spielen Verbraucherschutzorganisationen wie Euro NCAP eine zentrale Rolle bei der (Weiter-)Entwicklung passiver Sicherheitseinrichtungen. Durch eine weniger vorhersehbare, innovative und sich kontinuierlich weiterentwickelnde Teststrategie hat Euro NCAP die Fahrzeugentwicklung in den letzten Jahren stark beeinflusst. Das Testdesign wird dabei laufend an neue Technologien und Sicherheitsanforderungen angepasst. Die Unabhängigkeit von Herstellern und die Arbeit unabhängiger NGOs tragen entscheidend dazu bei, dass Sicherheitsstandards im Sinne der Verkehrsteilnehmenden stetig weiterentwickelt werden.
Fazit
Passive Sicherheitseinrichtungen sind entscheidend, um die biomechanischen Belastungen und damit das Verletzungsrisiko und die Verletzungsschwere bei Unfällen zu reduzieren. Trotz erheblicher Fortschritte in den letzten Jahrzehnten besteht nach wie vor Optimierungspotenzial, beispielsweise beim besseren Zusammenspiel passiver und aktiver Schutzsysteme.
Hinweise
Die UNECE mit Sitz in Genf ist die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen und eine von fünf Regional-Kommissionen des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen.
Adaptive Sicherheitsgurte passen sich an die Geschwindigkeit, Sitzposition und Körperstatur der Insassinnen und Insassen an, um die Schutzwirkung zu optimieren. Adaptive Airbags passen sich in ihrer Füllmenge und Auslösestärke an die Grösse und das Gewicht der Insassen an und reagieren auf die Schwere eines Aufpralls. Für Seniorinnen und Senioren werden spezielle adaptive Systeme entwickelt, die die Auslösestärke und Rückhaltekräfte individuell anpassen, um Verletzungen zu minimieren.
Quellen
[1] Europäisches Parlament, Rat der Europäisches Union. VERORDNUNG (EU) 2018/858 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraft fahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG ABI. L151/1 vom 14.06.2018: VERORDNUNG (EU) 2018/858: EUR-Lex.
[2] Deutscher Bundestag, Hg. Die Zulassung von Kraftfahrzeugen: Vorgaben bei nicht-autonomer, autonomer und automatisierter Fahrfunktion [Sachstand]. Deutschland; 2023. Wissenschaftliche Dienste Aktenzeichen WD 7 - 3000 - 045/23. https://www.bundestag.de/resource/blob/950208/4117f62f26f68233a742ba55c55b0236/WD-7-045-23-pdf.pdf. 28.03.2025.