Einleitung
Zur Prävention von Velo- und E-Bike-Unfällen werden oft Sensibilisierungsmassnahmen eingesetzt. Dazu gehören massenmediale Kampagnen wie Plakate oder TV-Spots, Social-Media-Beiträge, Informationsbroschüren sowie gezielte Aktionen vor Ort. Ziel ist es, das Bewusstsein für sicherheitsrelevante Themen zu schärfen und das sicherheitsorientierte Verhalten der Zielgruppen zu fördern.
Die Zielgruppen können die Velo- und E-Bike-Fahrenden selbst sein, aber auch die Motorfahrzeuglenkenden, die auf Velofahrende Rücksicht nehmen und Kollisionen vermeiden sollen. Auch Eltern von Velo fahrenden Kindern können angesprochen werden, um sie für die Sicherheit ihrer Kinder im Strassenverkehr zu sensibilisieren. Informationen zur Sensibilisierung von Kindern bzw. deren Eltern finden sich auf einer separaten Seite.
Aktuelle Situation
In der Schweiz führen verschiedene Institutionen Sensibilisierungskampagnen und -aktionen zur Erhöhung der Sicherheit von Velo- und E-Bike-Fahrenden durch oder bieten Sensibilisierungsmaterial an. Für die Zielgruppe der Zweiradfahrenden werden Themen wie sicheres Fahren im Verkehr, Ablenkung, Tragen eines Velohelms oder die Verwendung von Sichtbarkeitshilfen behandelt.
E-Bike-Fahrerinnen und E-Bike-Fahrer werden zusätzlich für spezifische Risiken wie den längeren Anhalteweg oder die Gefahr der Geschwindigkeitsunterschätzung durch andere Verkehrsteilnehmende sensibilisiert. Motorfahrzeuglenkende werden z. B. für Vorsicht beim Vortritt, ausreichenden Überholabstand oder vorsichtiges Öffnen der Autotür sensibilisiert.
Präventionsnutzen
Gut konzipierte Sensibilisierungsmassnahmen können dazu beitragen, Velo- und E-Bike-Fahrende sowie Motorfahrzeuglenkende für velobezogene Risiken im Strassenverkehr zu sensibilisieren, ihr Verhalten positiv zu beeinflussen und damit die Sicherheit der Velo- und E-Bike-Fahrenden zu erhöhen.
Der genaue Nutzen solcher Massnahmen für die Verkehrssicherheit ist jedoch schwer zu beziffern. Evaluationen werden eher selten durchgeführt oder publiziert und messen meist nur Bekanntheit, Einstellungen oder Verhaltensabsichten, nicht aber tatsächliche Verhaltensänderungen oder Auswirkungen auf das Unfallgeschehen [1].
Letzteres wäre allerdings auch anspruchsvoll, da viele Einflüsse auf das Unfallgeschehen wirken und Unfälle seltene Ereignisse sind. Übersichtsarbeiten und internationale Metaanalysen zeigen jedoch, dass Kampagnen positive Effekte auf die Verkehrssicherheit haben können [2]. Die Effekte variieren aber stark und es findet sich nicht immer eine signifikante Wirkung [2]. Für weitere Informationen zu Sensibilisierungsmassnahmen generell siehe hier.
Die Literatur zur Wirksamkeit von Sensibilisierungsmassnahmen für Velofahrende konzentriert sich häufig auf das Helmtragen, oft mit Fokus auf Kinder und Jugendliche, seltener auf Erwachsene. Viele Evaluationsstudien untersuchten Kampagnen, die mit zusätzlichen Massnahmen wie Helmabgaben oder Helmtragpflicht kombiniert wurden [3,4]. Dies erschwert eine isolierte Bewertung der Wirkung reiner Sensibilisierungsmassnahmen. In Dänemark wird vermutet, dass die langjährigen Helmkampagnen zur steigenden Helmtragquote beigetragen haben [5]. Ab einer bestimmten Quote dürfte eine weitere Steigerung durch Sensibilisierung allein jedoch schwierig sein [6].
Ein niederländisches Forschungsteam untersuchte die Wirkung einer dort durchgeführten Kampagne gegen Ablenkung im Strassenverkehr. Die Ergebnisse zeigten ein gesteigertes Verantwortungsbewusstsein bei Velofahrenden sowie eine erhöhte Bereitschaft, Vorsichtsmassnahmen zu treffen, um sich nicht durch das Handy ablenken zu lassen. Der direkte Effekt auf die Unfallzahlen bleibt jedoch unklar [1].
Die Sensibilisierung von Motorfahrzeuglenkenden für sicheres Verhalten gegenüber Velo- und E-Bike-Fahrenden ist wichtig, jedoch gibt es wenig Literatur zur Wirksamkeit solcher Massnahmen. Die Evaluation einer britischen Kampagne mit Plakaten für Autofahrende und Velofahrende zeigte, dass die Kampagne bei den Velofahrenden hinsichtlich Awareness und Selbstreflexion besser funktionierte. Dies könnte zum einen daran liegen, dass die Botschaften für Velofahrende spezifische Tipps enthielten, für Autofahrende hingegen eher allgemeine Appelle [7]. Zum anderen dürften Velofahrende auch aufgrund ihres Eigeninteresses an Sicherheit leichter zu sensibilisieren sein [6].
Zu bedenken ist auch, dass ein erheblicher Teil der durch Motorfahrzeuglenkende verursachten Kollisionen mit Velo- und E-Bike-Fahrenden mit der begrenzten menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit zusammenhängen dürfte – z. B. Vortrittsmissachtungen infolge Übersehen. Sensibilisierungsmassnahmen allein können diese Problematik daher nur bedingt lösen. Wirksamer dürften infrastrukturelle und fahrzeugtechnische Massnahmen sein – insbesondere Notbremsassistenten mit Veloerkennung.
Optimierungspotential
Um das Potenzial von Sensibilisierungsmassnahmen zur Erhöhung der Sicherheit von Velo- und E-Bike-Fahrenden voll auszuschöpfen, empfiehlt es sich, vor der Konzeption eine wissenschaftliche Situationsanalyse durchzuführen. Dies ermöglicht eine datenbasierte Auswahl der relevanten Themen und Zielgruppen sowie eine zielgerichtete Entwicklung von Massnahmen. Zudem sollte die Konzeption auf wissenschaftlich fundierten, sozialpsychologischen Theorien basieren [8]. Theorien helfen dabei, Einflussfaktoren und wirksame Massnahmen zu identifizieren und systematisch zu prüfen, warum eine Intervention erfolgreich war oder nicht [9].
Ebenso wichtig ist eine systematische Evaluation der Sensibilisierungsmassnahmen, wie sie beispielsweise der Fonds für Verkehrssicherheit FVS aufgegleist hat. Sie ermöglicht es, bestehende Massnahmen gezielt zu optimieren und wertvolle Erkenntnisse für die Planung zukünftiger Massnahmen zu gewinnen. Idealerweise werden bei Evaluationen auch das tatsächliche Verhalten und – wenn möglich – das Unfallgeschehen untersucht und eine aussagekräftige Methodik verwendet (z. B. Vorher-Nachher-Analyse mit Kontrollgruppen).
Durch gebündelte Aktionen verschiedener Akteure (Interessensvertreter, Polizei, Versicherungen, Velobranche, Verbände usw.) und Synergien mit anderen Präventionsaktivitäten wie Polizeikontrollen (mit oder ohne Sanktionierung) können Wirkung und Reichweite von Sensibilisierungsmassnahmen erhöht werden.
Spezifische Sensibilisierungsaktionen und präventive Kontrollen durch die Polizei haben den Vorteil, dass auch schwer erreichbare Zielgruppen angesprochen werden können – im Gegensatz zu klassischen Kommunikationskampagnen oder Aktionstagen, die oft nur bereits sensibilisierte Personen erreichen [6].
Polizeiliche Aktionen sind sowohl für Velofahrende als auch für Motorfahrzeuglenkende sinnvoll. Aufgrund der begrenzten Ressourcen der Polizei und der höheren Fremdgefährdung durch Motorfahrzeuglenkende sollte jedoch der Sensibilisierung der Motorfahrzeuglenkenden Priorität eingeräumt werden. Eine Kombination von Sensibilisierung und gezieltem Enforcement kann dabei besonders wirksam sein, da sich solche Ansätze als effektiver erwiesen haben [2].
Fazit
Sensibilisierungsmassnahmen für Velo- und E-Bike-Fahrende oder für Motorfahrzeuglenkende können zur Erhöhung der Sicherheit im Zweiradverkehr beitragen. Ihr genauer Nutzen ist jedoch schwer messbar. Eine Wirkung ist vor allem dann zu erwarten, wenn Kampagnen oder andere Aktionen wissenschaftlich abgestützt sind. Die Koordination verschiedener Akteure und Synergien mit anderen Präventionsaktivitäten, darunter auch Polizeikontrollen, können die Wirkung und Reichweite von Sensibilisierungsmassnahmen erhöhen. Sensibilisierungsmassnahmen sollten konsequent evaluiert werden, um bestehende Massnahmen zu optimieren und wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Aktionen zu gewinnen.
Quellen
[1] Institute for Road Safety Research SWOV. Public communication. The Hague, NL: SWOV; 2023. SWOV Fact sheet.
[2] Phillips RO, Ulleberg P, Vaa T. Meta-analysis of the effect of road safety campaigns on accidents. Accid Anal Prev. 2011; 43(3): 1204–1218. DOI:10.1016/j.aap.2011.01.002.
[3] Institute for Road Safety Research SWOV. Bicycle helmets. SWOV Fact sheet. The Hague, NL; 2024.
[4] Kazemi A, Forward S. Evaluation of the Swedish Bicycle Helmet Wearing Campaign 2008. In: Forward S, Kazemi A, Hg. A theoretical approach to assess road safety campaigns: Evidence from seven european countries [Campaigns and Awareness-Raising Strategies in Traffic Safety CAST]. Brussels: Belgisch Instituut voor de Verkeersveiligheid BIVV; 2009: 47–72.
[5] Olsson B. Increased bicycle helmet use in the absence of mandatory bicycle helmet legislation: Prevalence and trends from longitudinal observational studies on the use of bicycle helmets among cyclists in Denmark 2004–2022. J Safety Res. 2023; 87: 54–63.
[6] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.
[7] Department for Transport UK. THINK! Cycling (safety tips campaign) Evaluation; 2014. https://www.roadsafetyknowledgecentre.org.uk/rskc-1273/. 14.03.2025.
[8] Robertson RD, Pashley C. Road safety campaigns: what the research tells us. Ottawa: Traffic Injury Research Foundation of Canada TIRF; 2015. TIRF Toolkit.
[9] Uhr A. Social Marketing: Generelle Strategie und zentrale Prinzipien. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Forschung 2.372. DOI:10.13100/BFU.2.372.01.2020.