Ausgangslage
Müdigkeit am Steuer ist ein wesentlicher Risikofaktor für Verkehrsunfälle. Dabei geht es nicht nur um den Sekundenschlaf – ein kurzes Einnicken während der Fahrt –, sondern auch um müdigkeitsbedingte Leistungseinbussen, die schon lange vor dem eigentlichen Einschlafen auftreten, wie z. B. eine verlangsamte Reaktion [1].
Müdigkeit ist ein Signal des Körpers, die aktuelle körperliche oder geistige Aktivität oder auch nur das «Wachsein» zu beenden. Dennoch fahren viele Fahrzeuglenkende trotz Müdigkeitssymptomen wie Gähnen, Unkonzentriertheit, Fahrfehlern oder schweren Augenlidern weiter.
Müdigkeit und Tagesschläfrigkeit treten bei älteren Personen alters- und krankheitsbedingt häufiger auf[2]. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass jüngere Autolenkende häufiger in übermüdetem Zustand am Strassenverkehr teilnehmen als ältere [3–5].
Spezifische Untersuchungen zu Müdigkeitsunfällen bei 15- bis 17-jährigen Fahranfängerinnen und Fahranfängern liegen bisher nur in begrenztem Umfang vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass ähnliche Einflussfaktoren wie bei jungen Erwachsenen eine Rolle spielen, insbesondere die noch nicht abgeschlossene Reifung kognitiver Entscheidungsstrukturen und dem Schlaf abträgliche Lebensgewohnheiten.
Jugendliche legen jedoch weniger lange Strecken zurück als junge Erwachsene [7]. Ihre Teilnahme am Strassenverkehr ist deshalb eingeschränkt, insbesondere als Lenkende von Personenwagen (PW). Insgesamt werden in der Schweiz jedoch neun von zehn Müdigkeitsunfällen durch PW-Lenkende verursacht oder zumindest mitverursacht [1].
Verbreitung
In einer grossen europäischen Befragung gaben 2023 18 % der befragten Autofahrenden an, in den letzten 30 Tagen mindestens einmal so müde Auto gefahren zu sein, dass sie nur mit Mühe die Augen offen halten konnten. Bei den jüngeren Befragten (18- bis 24-Jährige) war der Anteil mit 26 % deutlich höher als bei den 65- bis 74-Jährigen mit nur 8 % [3]. Vermutlich ist auch der Anteil bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren höher als bei den 65- bis 74-Jährigen.
Gefährlichkeit
Müdigkeit geht mit einer Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit einher. Übermüdete Personen haben beispielsweise Schwierigkeiten, die Spur zu halten, nehmen Gefahren verzögert wahr und reagieren verspätet auf unerwartete Ereignisse. Im schlimmsten Fall führt Müdigkeit zu Sekundenschlaf am Steuer.
Aufgrund der Beeinträchtigungen weisen übermüdete Fahrzeuglenkende ein erhöhtes Unfallrisiko auf. Eine genaue Spezifizierung dieses Risikos ist kaum möglich. Grob geschätzt dürfte das relative Risiko aber im Bereich von 1,5 bis 4 liegen [1]. In einer Studie zu den Auswirkungen einer Schlafapnoe oder eines Schlafmangels auf das Unfallrisiko wurden verschiedene Altersgruppen miteinander verglichen [8]. Die Studie zeigte diesbezüglich keinen nennenswerten Unterschied zwischen älteren und jüngeren Personen.
Müdigkeitsbedingte Unfälle sind oft schwerwiegend, wenn der Lenker oder die Lenkerin eingeschlafen ist. Grund dafür dürfte sein, dass sie sich bei höherer Geschwindigkeit ereignen bzw. dass vor dem Aufprall nicht oder zu spät gebremst wurde [4].
Unfallrelevanz
In der Statistik der polizeilich registrierten Strassenverkehrsunfälle wird Müdigkeit (inkl. Sekundenschlaf) bei 1,7 % aller schweren Personenschäden als Hauptursache registriert (Ø 2019–2023). Bei den schweren Personenschäden der 15- bis 17-Jährigen ist dieser Anteil mit 0,9 % deutlich geringer. Nach Angaben der Polizei sind Jugendliche in diesem Alter nur sehr selten Verursacher von Müdigkeitsunfällen.
Da es für die Polizei schwierig ist, Übermüdung am Unfallort zuverlässig festzustellen und die Betroffenen ihre Schläfrigkeit oft verschweigen, wird das Ausmass des Problems in der amtlichen Verkehrsunfallstatistik unterschätzt. Spezifische Studien zeigen, dass Müdigkeit ein wesentlich substanziellerer Einflussfaktor ist. Unter Ausschluss konfundierender Faktoren wie Dunkelheit, Alkohol und überhöhte Geschwindigkeit kann davon ausgegangen werden, dass Müdigkeit insgesamt bei ca. 10 % aller schweren Unfälle von Motorfahrzeuglenkenden eine (Mit-)Ursache ist [1]. Für die 15- bis 17-Jährigen dürfte der entsprechende Anteil ebenfalls bei rund 10 % oder leicht darunter liegen.
Quellen
[1] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.
[2] Uhr A, Ewert U, Scaramuzza G et al. Sicherheit älterer Verkehrsteilnehmer. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2016. Sicherheitsdossier Nr. 14. DOI:10.13100/bfu.2.271.01.
[3] Areal A, Pires C, Pita R et al. Distraction (mobile phone use) & fatigue: ESRA3 Thematic report Nr. 3. ESRA project (E-Survey of Road users' Attitudes: Portuguese Road Safety Association; 2024.
[4] European Commission. Road safety thematic report – Fatigue. Brüssel: European Road Safety Observatory; 2021.
[5] Sagaspe P, Taillard J, Bayon V et al. Sleepiness, near-misses and driving accidents among a representative population of French drivers. J Sleep Res. 2010; 19(4): 578–584. DOI:10.1111/j.1365-2869.2009.00818.x.
[6] Uhr A, Ewert U, Niemann S et al. Sicherheit von Jugendlichen im Strassenverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2018. Sicherheitsdossier Nr. 17. DOI:10.13100/bfu.2.336.01.
[7] Bundesamt für Statistik BFS, Bundesamt für Raumentwicklung ARE. Mobilitätsverhalten der Bevölkerung: Ergebnisse des Mikrozensus Mobilität und Verkehr 2021. Neuchâtel, Bern; 2023.
[8] Gottlieb DJ, Ellenbogen JM, Bianchi MT, Czeisler C. Sleep deficiency and motor vehicle crash risk in the general population: A prospective cohort study. BMC Med. 2018; 16(1): 44. DOI:10.1186/s12916-018-1025-7.