Ausgangslage
Bei Vortrittsmissachtungen durch Kinder handelt es sich zu einem grossen Teil um Vortrittsmissachtungen, die von Kindern zu Fuss begangen werden, wie «Unvorsichtiges Überqueren der Fahrbahn». Aber auch Vortrittsmissachtungen mit Velos oder anderen Fahrzeugen kommen vor, wenn Kinder z. B. das Vortrittssignal «Kein Vortritt» oder den Rechtsvortritt missachten.
Die genauen Ursachen von Vortrittsmissachtungen sind in der Verkehrsunfallstatistik nicht ersichtlich. Bei Vortrittsmissachtungen von Kindern dürften entwicklungsbedingte Einschränkungen von grosser Bedeutung sein.
Dazu gehören Schwierigkeiten bei der Einschätzung von Geschwindigkeiten und Distanzen, Ablenkbarkeit, Schwierigkeiten bei der Aufmerksamkeitssteuerung und der Gefahrenantizipation sowie eine noch nicht ausgereifte Impulskontrolle. Mangelnde Erfahrung, Unkenntnis der Vortrittsregeln und bewusste Regelmissachtungen dürften ebenfalls eine Rolle spielen [1–4].
Verbreitung
Wie häufig Kinder den Vortritt missachten, lässt sich nur schwer abschätzen. Aufgrund der Unfallstatistik ist davon auszugehen, dass dies relativ häufig vorkommt – bei jüngeren Kindern noch häufiger als bei älteren.
Aus der Unfallstatistik lässt sich auch ableiten, dass die meisten Vortrittsmissachtungen von Kindern zwischen 0 und 14 Jahren zu Fuss begangen werden. Danach folgen Vortrittsmissachtungen mit dem Velo und mit fahrzeugähnlichen Geräten wie zum Beispiel dem Trottinett. Diese Reihenfolge dürfte mit der Exposition zusammenhängen, d. h. mit den Distanzen, die die Kinder auf diese Arten zurücklegen.
Die häufigste Art der Vortrittsmissachtung, die bei den Kindern registriert wird, ist das unvorsichtige Überqueren der Fahrbahn. Es ist für 52 % ihrer durch Vortrittsmissachtung selbst verursachten schweren Personenschäden verantwortlich (Ø 2019–2023). Unvorsichtiges Überqueren der Fahrbahn wird mehrheitlich bei Querungen abseits von Fussgängerstreifen registriert.
Gefährlichkeit
Wie häufig eine Vortrittsmissachtung von Kindern letztlich zu einem Unfall führt, kann mangels entsprechender Studien nicht beantwortet werden. Insgesamt ist aber aufgrund der hohen Unfallrelevanz davon auszugehen, dass Vortrittsmissachtungen öfters zu Kollisionen führen.
Gemäss der Unfallstatistik werden 17 % der Kinder, die aufgrund einer eigenen Vortrittsmissachtung bei einem Unfall verletzt werden, schwer oder tödlich verletzt. 83 % werden leicht verletzt (Ø 2019–2023).
Unfallrelevanz
24 % der schweren Personenschäden von 0- bis 14-Jährigen, die zu Fuss oder als Lenkerin oder Lenker eines Fahrzeugs verunfallt sind, sind auf eine selbst begangene Vortrittsmissachtung zurückzuführen (Ø 2019–2023). Bei Personen ab 15 Jahren beträgt dieser Anteil nur 5 %.
Selbst begangene Vortrittsmissachtungen spielen somit bei schweren Personenschäden von Kindern eine wesentlich grössere Rolle als bei älteren Personen. Auch bei Kindern nimmt dieser Anteil mit zunehmendem Alter ab: Bei den 0- bis 7-Jährigen beträgt er 30 %, bei den 8- bis 11-Jährigen 28 % und bei den 12- bis 14-Jährigen noch 17 %.
Mehr als die Hälfte der Kinder, die durch selbst begangene Vortrittsmissachtung schwer verunfallen, sind zu Fuss unterwegs (54 %), 21 % mit dem Velo und 15 % mit einem fahrzeugähnlichen Gerät (Ø 2019–2023).
Hinweise
In diesem Text werden unter Vortrittsmissachtungen alle Hauptursachen der Hauptursachengruppe «Vortritt» aus der Verkehrsunfallstatistik verstanden. Zusätzlich werden folgende Unfälle einbezogen: Alle Kollisionen zwischen einem geradeaus fahrenden Fahrzeug, einem Rechtsabbieger oder einem Linksabbieger mit einem querenden Fussgänger mit den Hauptursachen «Unvorsichtiges Überqueren der Fahrbahn» oder «Springen, Laufen oder Spielen auf der Fahrbahn».
Alle präsentierten Daten beziehen sich auf Fussgängerinnen und Fussgänger und Lenkende eines Fahrzeugs. Mitfahrende wurden nicht berücksichtigt.
Quellen
[1] Schlag B, Richter S, Kröling S, Gehlert T. Ganzheitliche Verkehrserziehung für Kinder und Jugendliche: Teil 1: Entwicklung verkehrsrelevanter Kompetenzen im Alter von 0 bis 14 Jahren – Band 2: in ausgewählten Verkehrssituationen. Berlin: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. GDV; 2021. Forschungsbericht GDV Nr. 78.
[2] Uhr A. Entwicklungspsychologische Grundlagen: Überblick und Bedeutung für die Verkehrssicherheit. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2015. bfu-Grundlagen.
[3] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fussverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2013. Sicherheitsdossier Nr. 11.
[4] Walter E, Achermann Stürmer Y, Scaramuzza G et al. Fahrradverkehr. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2012. Sicherheitsdossier Nr. 08.