Einleitung
Verhaltensvorschriften sind für einen geordneten Ablauf des Strassenverkehrs unabdingbar und spielen auch für die Verkehrssicherheit zentrale Rolle. Sie geben klare Anweisungen, wie sich die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer in verschiedenen Situationen verhalten sollen. So können Gefahren- und Konfliktsituationen minimiert werden.
Für Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren, die erste Fahrpraxis im motorisierten Verkehr erwerben und eine erhöhte Neigung zu risikoreichem Verhalten aufweisen, kommt den Verhaltensvorschriften und deren konsequenter Durchsetzung eine besonders wichtige präventive Funktion zu.
Aktuelle Situation
Das Strassenverkehrsgesetz schreibt in Art. 26 SVG [1] vor, dass sich alle Verkehrsteilnehmenden stets so verhalten müssen, dass sie andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse nicht behindern oder gefährden. Sie müssen sich vorausschauend und rücksichtsvoll verhalten.
Neben dieser allgemeinen Verhaltensvorschrift gibt es weitere Bestimmungen, um riskantes Verhalten zu vermeiden. Viele Jugendliche befinden sich noch in der Ausbildungsphase oder in den ersten Jahren ihrer Fahrpraxis, sind überdurchschnittlich oft abgelenkt oder mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. Über die Hälfte der Jugendlichen, die in der Schweiz bei Verkehrsunfällen schwer verletzt werden, verunfallen als Motorradfahrende. Im Hinblick auf die häufigsten Risikofaktoren und Unfallursachen bei schweren Verkehrsunfällen von Jugendlichen ist eine Reihe spezifischer Verhaltensvorschriften besonders relevant.
Alkohol
In Bezug auf die Verhaltensvorschrift zum Alkoholkonsum gilt im Allgemeinen, dass ab einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l (entsprechend 0,5 ‰ Blutalkohol) kein Fahrzeug geführt werden darf (Art. 31 Abs. 2 SVG) [1] (siehe Hinweis 1). Für Neulenkende im Besitz eines Lernfahrausweises oder eines Führerausweises auf Probe gilt ein faktisches Alkoholverbot (Art. 31 Abs. 2bis SVG) [1].
Ablenkung
Alle Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker müssen ihre Aufmerksamkeit stets auf die Strasse und den Verkehr richten. Sie dürfen beim Fahren nichts tun, was die Bedienung des Fahrzeugs erschwert. Die Aufmerksamkeit darf nicht durch Kommunikationsgeräte oder andere Quellen beeinträchtigt werden. Das Telefonieren ohne Freisprechanlage ist ausdrücklich verboten (Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV) [1,2]. Nicht alle Ablenkungsarten sind explizit im Gesetz definiert (z. B. Handynutzung von Fussgängerinnen und Fussgängern oder Musikhören bei Velofahrenden). Sie können dennoch zu Sanktionen führen, wenn als Folge gegen Verkehrsregeln verstossen wird oder andere Verkehrsteilnehmende gefährdet werden (vgl. Art. 3 Abs. 3 VRV, Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV, Art. 26 und Art. 49 SVG) [1,2].
Geschwindigkeit
Alle Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker müssen ihre Geschwindigkeit stets den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anpassen (Art. 32 Abs. 1 SVG, Art. 4 Abs. 1 VRV) [1,2]. Die geltenden Höchstgeschwindigkeiten sind einzuhalten. Für Lenkende von konventionellen Velos gelten die allgemeinen und signalisierten Höchstgeschwindigkeiten zwar nicht. Aber auch sie müssen die Geschwindigkeit den Umständen anpassen und ihr Velo jederzeit beherrschen können.
Beim Motorradfahren
besteht lediglich eine gesetzliche Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms (Art. 3b Abs. 1 VRV) [2]. Weitere Schutzkleidung wie Jacke, Hose, Handschuhe oder geeignete Schuhe ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Das Fehlen einer gesetzlichen Vorschrift entbindet jedoch nicht von der Pflicht zur Eigenverantwortung. Wer auf angemessene Schutzausrüstung verzichtet, riskiert bei einem Unfall auch eine Kürzung der Leistungen durch die Unfallversicherung.
Präventionsnutzen
Rechtliche Verhaltensvorschriften spielen für die Verkehrssicherheit eine entscheidende Rolle. Sie betreffen alle Verkehrsteilnehmenden und tragen wesentlich dazu bei, Konflikt- und Gefahrensituationen im Strassenverkehr zu vermeiden.
Der hohe Nutzen ergibt sich auch daraus, dass der Gesetzgeber bei den Hauptunfallursachen ansetzt und soweit möglich konkrete Vorgaben macht. Damit Verhaltensvorschriften ihren präventiven Nutzen entfalten und tatsächlich befolgt werden, bedarf es aber auch eines konsequenten Vollzugs und einer gewissen Sanktionsandrohung (siehe Hinweis 2), gegebenenfalls auch begleitender Sensibilisierungsmassnahmen.
Die Wirksamkeit solcher Vorschriften ist durch wissenschaftliche Untersuchungen belegt: So konnte z. B. gezeigt werden, dass Alkoholgrenzwerte in Kombination mit öffentlicher Sensibilisierung und verstärkten Kontrollen die Zahl der alkoholbedingten Verkehrsunfälle von Motorfahrzeuglenkenden signifikant reduzieren [3,4]. Empirische Befunde zeigen ausserdem, dass die Einführung eines Alkoholverbots für Neulenkende die Zahl ihrer alkoholbedingten Unfälle nachweislich reduziert [5]. Geschwindigkeitsbegrenzungen mit ausreichender Durchsetzung und begleitender Öffentlichkeitsarbeit tragen ebenfalls wesentlich zur Reduktion von Unfällen und Verletzungen bei [3]. Die genaue Wirksamkeit ist jedoch schwer zu quantifizieren, da es oft an geeigneten Kontrollgruppen mangelt und die Wirksamkeit von Vorschriften auch von der Umsetzung abhängt.
Optimierungspotential
Die aufgeführten Verhaltensvorschriften – mit besonderem Fokus auf Jugendliche – sind grundsätzlich im Sinne der Prävention. Im Rahmen der regelmässigen Revisionen der Gesetze und Verordnungen gilt es zumindest sicherzustellen, dass keine Abschwächungen vorgenommen werden und die Neuerungen nicht sicherheitsabträglich sind. Ein konkretes Beispiel ist die im Jahr 2021 in Kraft getretene Senkung des Mindestalters für die Motorradkategorie A1 (siehe Hinweis 3). Ferner lassen sich aufgrund der Erfahrungen in anderen Ländern folgende, punktuelle Optimierungsmöglichkeiten ableiten.
Persönliche Schutzausrüstung beim Motorradfahren
Ein Obligatorium, wie es in einzelnen Ländern wie Frankreich und Belgien bereits besteht, kann dazu beitragen, die Tragquote von Schutzausrüstung deutlich zu erhöhen. Ein solches Obligatorium müsste sich auf qualitativ hochwertige Schutzprodukte beziehen, allenfalls mit gewissen Abstrichen für Rollerfahrende. Gleichzeitig wäre ein praxistauglicher Vollzug erforderlich.
Ablenkung
Ein grundsätzliches Verbot des Telefonierens mit Freisprechanlage, beispielweise auf Lernfahrten und während der Probephase, könnte zwar einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Der Effekt dürfte aber nur geringfügig und der Vollzug schwierig sein [4].
Fazit
Die genannten Verhaltensvorschriften können grundsätzlich als zweckmässig und wirksam bezeichnet werden. Allerdings werden nicht alle Vorschriften gleich gut befolgt. Die jeweilige Wirksamkeit hängt von weiteren Faktoren ab, insbesondere von der Vollzugsmöglichkeit und der Höhe der angedrohten Sanktionen, aber auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz der Regeln. Um die Verkehrssicherheit Jugendlicher auf Motorrädern zu erhöhen, könnte die obligatorische Verwendung bestimmter Schutzausrüstungen erwogen werden. Darüber hinaus müssen auch weitere Massnahmen zum Schutz der jugendlichen Motorradfahrenden geprüft werden.
Hinweise
- Die konkreten Grenzwerte sind in Art. 1 der Verordnung der Bundesversammlung über Alkoholgrenzwerte im Strassenverkehr geregelt [6].
- Die Themen Polizeikontrollen und Sanktionierung werden auf separaten Seiten abgehandelt
- Seit dem 1. Januar 2021 dürfen Jugendliche in der Schweiz bereits ab 15 Jahren Kleinmotorräder fahren – also Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h und einem Hubraum von maximal 50 cm³ oder einer Leistung von höchstens 4 kW (vorher: ab 16 Jahren; Art. 6 Abs. 1 Bst. c Ziff. 1 VZV) [7]. Ab 16 Jahren ist neu auch das Führen von Motorrädern der 125er-Klasse erlaubt, das heisst mit einem Hubraum von maximal 125 cm³ und einer Leistung bis 11 kW (vorher: ab 18 Jahren; Art. 6 Abs. 1 Bst. c Ziff. 2 VZV)Klicken oder tippen Sie hier, um Text einzugeben.. Diese Anpassungen wurden vorgenommen, um die Schweizer Regelung an die EU-Vorgaben anzugleichen. Seit der Senkung der Altersgrenze sind die Unfallzahlen signifikant angestiegen. Angesichts des erhöhten Unfallrisikos bei jugendlichen Motorradlenkenden erscheint es aus Präventionssicht sinnvoll, das Mindestalter für das Lenken von Kleinmotorrädern wieder auf 16 Jahre anzuheben und den Zugang zur 125-cm³-Kategorie auf Personen ab 18 Jahren zu beschränken.
Quellen
[1] Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01).v
[2] Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11).
[3] Bevan Kirley, Kristel Robison, Arthur Goodwin et al. Countermeasures That Work: A Highway Safety Countermeasure Guide for State Highway Safety Offices. 11th Edition: National Highway Traffic Safety Administration NHTSA; 2023.
[4] Hertach P, Uhr A, Niemann S et al. Beeinträchtigte Fahrfähigkeit von Motorfahrzeuglenkenden. Bern: BFU, Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2020. Sicherheitsdossier 2.361. DOI:10.13100/BFU.2.361.01.
[5] Strassgütl L, Evers C. Long-term effects of the German zero tolerance law for novice drivers. J Safety Res. 2022; 80: 46–53. DOI:10.1016/j.jsr.2021.11.003.
[6] Verordnung der Bundesversammlung über Alkoholgrenzwerte im Strassenverkehr vom 15. Juni 2012 (SR 741.13).
[7] Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976 (Verkehrszulassungsverordnung, VZV, SR 741.51).